Die Frau des Zeitreisenden
Kino und...?«
»Na ja, dann wollte er nach Traver.«
»Was ist das?«
»Eine Farm im Norden.« Clares Stimme senkt sich, ich kann sie kaum verstehen. »Da fahren alle hin, um ... rumzuknutschen.« Ich enthalte mich eines Kommentars. »Aber ich hab ihm gesagt, dass ich müde bin und nach Hause will, und daraufhin wurde er irgendwie wütend.« Clare verstummt; eine Zeit lang sitzen wir da, lauschen Vögeln, Flugzeugen, dem Wind. Dann sagt Clare: »Er war richtig wütend.«
»Was ist dann passiert?«
»Er wollte mich nicht heimfahren. Wir waren irgendwo auf der Route 12, aber wo genau, wusste ich nicht, er fuhr nur so durch die Gegend, auf kleinen Straßen, Gott, keine Ahnung. Dann bog er in einen Schotterweg ein, und da war so eine kleine Hütte. In der Nähe war ein See, das konnte ich hören. Und er hatte einen Schlüssel für die Hütte.«
Langsam werde ich nervös. Von dieser Geschichte hat mir Clare nie erzählt, nur dass sie einmal einen schrecklichen Abend mit einem Kerl namens Jason verbracht hatte, einem Footballspieler. Clare ist wieder verstummt.
»Clare. Hat er dich vergewaltigt?«
»Nein. Er hat gesagt, ich wäre nicht... gut genug. Er hat gesagt... Nein, vergewaltigt hat er mich nicht. Er hat mir nur ... wehgetan. Und mich gezwungen...« Sie kann es nicht aussprechen. Ich warte. Clare knöpft ihren Mantel auf, zieht ihn aus. Dann schält sie sich aus ihrem Hemd, und ich sehe, dass ihr Rücken von Blutergüssen übersät ist, die sich dunkellila von ihrer weißen Haut abheben. Sie dreht sich um, und auf ihrer rechten Brust ist eine Brandwunde von einer Zigarette, auf der sich eine hässliche Blase gebildet hat. Einmal wollte ich wissen, woher diese Narbe kommt, aber sie mochte es mir nicht sagen. Den Kerl bringe ich um. Ich schlage ihn zum Krüppel. Clare sitzt da, Schultern nach hinten, Gänsehaut, und wartet. Ich gebe ihr das Hemd zurück, und sie zieht es an.
»In Ordnung«, sage ich ruhig zu ihr. »Wo finde ich den Kerl?«
»Ich fahr dich hin.«
Clare holt mich im Fiat am Ende der Auffahrt ab, außer Sichtweite des Hauses. Trotz des bewölkten Nachmittags trägt sie eine Sonnenbrille, auch Lippenstift, ihre Haare sind am Hinterkopf gewellt. Sie wirkt viel älter als sechzehn, sieht eher aus, als käme sie gerade aus Fenster zum Hof, allerdings wäre die Ähnlichkeit noch größer, wenn sie blond wäre. Wir rasen durch den herbstlichen Wald, aber ich glaube, von den Farben nehmen wir beide nicht viel wahr. In meinem Kopf dreht sich unaufhörlich eine Bandschleife dessen, was Clare in der kleinen Hütte zugestoßen ist.
»Wie groß ist er?«
Clare überlegt. »Ein paar Zentimeter größer als du. Aber viel schwerer, um die fünfundzwanzig Kilo.«
»Donnerwetter.«
»Ich hab das mitgebracht.« Clare fischt einen Revolver aus ihrer Handtasche.
»Clare!«
»Der gehört Daddy.«
Ich überlege schnell. »Clare, ich halte das für keine gute Idee. Ich bin so wütend, dass ich ihn vielleicht wirklich benutze, und das wäre dumm. Pass auf.« Ich nehme ihr die Waffe ab, öffne die Trommel, entferne die Kugeln und lege sie in ihre Handtasche. »So. Schon besser. Tolle Idee, Clare.« Sie sieht mich verständnislos an. Ich stecke mir den Revolver in die Manteltasche. »Soll ich es anonym durchziehen oder soll er wissen, dass ich von dir komme?«
»Ich will dabei sein.«
»Ach so.«
Sie biegt in einen Privatweg ein und hält an. »Ich will ihn irgendwohin bringen und ich will ihm sehr wehtun und ihn dabei beobachten. Er soll richtig Schiss haben.«
»Clare«, entgegne ich seufzend, »eigentlich bin ich nicht der Typ für solche drastischen Maßnahmen. Normalerweise kämpfe ich nur zur Selbstverteidigung.«
»Bitte«, sagt sie völlig tonlos.
»Natürlich.« Wir fahren die Auffahrt entlang und halten vor einem großen neuen Haus im nachgemachten Kolonialstil. Autos sind nicht in Sicht. Aus einem offenen Fenster im ersten Stock plärrt Van Halen. Wir gehen zur Haustür, ich stelle mich an die Seite, und Clare klingelt. Kurz darauf bricht die Musik schlagartig ab und schwere Schritte poltern die Treppe herunter. Die Tür wird aufgerissen, und nach einer kurzen Pause sagt eine tiefe Stimme: »Was? Hast du noch nicht genug?« Mehr brauche ich nicht zu hören. Ich ziehe den Revolver, trete an Clares Seite, den Lauf auf seine Brust gerichtet.
»Hallo, Jason«, sagt Clare, »ich dachte mir, du hättest vielleicht Lust auf einen kleinen Ausflug.«
Er reagiert wie erwartet, lässt sich fallen und
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