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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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eigentlich erleichtert. »Ich könnte alles Mögliche mit ihm anstellen. Soll ich ihm das Trommelfell zertrümmern? Oder die Nase brechen? Oh, die hat er sich selbst schon mal gebrochen. Wir könnten ihm die Achillessehne durchschneiden. Dann würde er in nächster Zukunft nicht mehr Football spielen.«
    »Nein!«, presst Jason unter dem Band hervor.
    »Dann entschuldige dich«, sage ich zu ihm.
    Jason zögert. »Entschuldigung.«
    »Das war ziemlich dünn...«
    »Ich weiß«, sagt Clare. Sie wühlt in ihrer Handtasche und holt einen Textmarker hervor, nähert sich Jason, als wäre er ein gefährliches Zootier, und fängt an, seine verklebte Brust zu beschreiben. Als sie fertig ist, tritt sie zurück und setzt die Schutzkappe auf den Marker. Sie hat eine Kurzfassung von ihrem Abend mit Jason aufgeschrieben. Sie steckt den Marker wieder in ihre Handtasche und sagt: »Geh’n wir.«
    »Aber wir dürfen ihn nicht einfach hier lassen. Er könnte noch einen Asthmaanfall bekommen.«
    »Okay. Ich werde ein paar Leute anrufen.«
    »Moment mal«, protestiert Jason.
    »Was ist?«, fragt Clare.
    »Wen willst du anrufen? Ruf Rob an.«
    Clare lacht. »Keine Chance. Ich werde jedes mir bekannte Mädchen anrufen.«
    Ich gehe zu Jason und halte ihm den Revolverlauf unters Kinn. »Wenn du auch nur einer Menschenseele etwas von mir erzählst und ich erfahre davon, werde ich wiederkommen und dich alle machen. Und wenn ich fertig bin, wirst du nicht mehr laufen, sprechen, essen und ficken können. Soweit du weißt, ist Clare ein nettes Mädchen, das sich aus unerfindlichen Gründen nie mit jungen Männern trifft. Verstanden?«
    Jason sieht mich hasserfüllt an. »Verstanden.«
    »Wir haben dir gegenüber große Milde walten lassen. Solltest du Clare noch einmal in irgendeiner Form belästigen, wird es dir Leid tun.«
    »Ja.«
    »Gut.« Ich stecke den Revolver in die Tasche zurück. »War nett.«
    »Hör mal, Arschgesicht...«
    Oh, zum Teufel. Ich trete einen Schritt zurück und lege mein ganzes Gewicht in einen Sidekick, den ich in Richtung Schritt platziere. Jason schreit auf. Dann drehe ich mich um und sehe Clare an, die unter ihrem Make-up erbleicht. Tränen laufen Jason im Gesicht hinab. Ich überlege, ob er ohnmächtig werden könnte. »Gehen wir«, sage ich, und Clare nickt. Schweigend laufen wir zum Auto zurück. Jason brüllt uns hinterher. Wir steigen ein, Clare lässt den Motor an, wendet und zischt die Auffahrt hinunter auf die Straße.
    Ich beobachte sie beim Fahren. Es beginnt zu regnen. Ein kleines zufriedenes Lächeln umspielt ihre Lippen. »Hast du das gewollt?«, frage ich sie.
    »Ja«, sagt Clare. »Das war prima. Vielen Dank.«
    »War mir ein Vergnügen.« Mir wird schwindelig. »Ich glaube, ich bin gleich weg.«
    Clare biegt in eine Seitenstraße und hält an. Der Regen trommelt aufs Auto, man könnte meinen, wir fahren durch eine Waschanlage. »Küss mich«, befiehlt Clare. Ich gehorche, und dann bin ich verschwunden.
Montag, 28. September 1987 (Clare ist 16)
     
    Clare: Am Montag in der Schule sehen mich alle an, aber keiner will mit mir sprechen. Ich komme mir vor wie Harriet, die kleine Detektivin, nachdem ihre Klassenkameraden ihr Notizbuch fanden. Mein Gang durch den Flur gleicht der Teilung des Roten Meers. Als ich zur ersten Stunde in den Englischunterricht gehe, verstummen alle. Ich setze mich neben Ruth, die mich besorgt anlächelt. Auch ich sage nichts zu ihr, und dann spüre ich unterm Tisch ihre kleine warme Hand auf meiner. Ruth hält meine Hand, bis Mr Partaki hereinkommt, dann nimmt sie sie weg. Mr Partaki merkt, dass die Klasse ungewohnt still ist, und erkundigt sich freundlich, ob wir ein schönes Wochenende hatten, worauf Sue Wong sagt: »Aber natürlich«, und vereinzeltes nervöses Gelächter durch den Raum geht. Partaki ist verdutzt, es entsteht eine peinliche Pause. Dann sagt er: »Nun gut, beginnen wir mit Billy Budd. 1851 veröffentlichte Hermann Melville Moby Dick, ein Buch, das von der amerikanischen Öffentlichkeit mit erschreckender Gleichgültigkeit aufgenommen wurde...« An mir geht alles vorbei. Obwohl ich ein Baumwollunterhemd trage, scheuert mein Pullover und mir tun die Rippen weh. Meine Klassenkameraden führen eine zähe Diskussion über Billy Budd. Schließlich klingelt es, und sie entfliehen. In Begleitung von Ruth gehe ich langsam hinter ihnen her.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragt sie.
    »Mehr oder weniger.«
    »Ich hab gemacht, was du wolltest.«
    »Um wie viel

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