Die Frau des Zeitreisenden
überlege, ob ich einen Spaziergang machen soll. Außerdem muss ich mal pinkeln.
Ich höre Stöckelschuhe auf mich zutrippeln. Aber es ist nicht Clare, sondern eine rassige Superblondine im engen roten Kleid.
Ich kneife die Augen zusammen und stelle fest, dass es Helen Powell ist, Clares Freundin. Oje.
Sie kommt zu mir an die Beifahrerseite getrippelt, bückt sich und schaut mich an. Ich sehe in ihren Ausschnitt bis ans Ende der Welt. Mir ist leicht schwummrig.
»Hallo, Clares Freund. Ich bin Helen.«
»Falsche Nummer, Helen. Aber freut mich.« Ihr Atem riecht stark nach Alkohol.
»Willst du nicht aussteigen und ordentlich Guten Tag sagen?«
»Ach, eigentlich sitze ich hier ganz gut, vielen Dank.«
»Na schön, dann komm ich eben ein bisschen zu dir.« Unsicher schwankt sie vorn ums Auto herum, reißt die Tür auf und lässt sich auf den Fahrersitz plumpsen.
»Dich wollte ich schon lange kennen lernen«, vertraut Helen mir an.
»Ach ja? Warum?« Ich wünsche mir sehnlichst, Clare würde kommen und mich retten, andererseits wäre dann wohl alles verraten, nicht wahr?
Helen beugt sich zu mir und sagt sotto voce: »Es musste dich einfach geben. Meine scharfe Beobachtungsgabe hat mich zu dem Schluss geführt, dass, wenn man das Unmögliche ausschaltet, immer die Wahrheit übrig bleibt, und sei sie noch so unmöglich. Also«
Helen hält inne, um zu rülpsen -, »wie unschicklich. Entschuldige. Also habe ich gefolgert, dass Clare einen Freund haben muss, sonst würde sie sich nämlich nicht standhaft weigern, die vielen überaus hübschen Jungs zu vögeln, die deswegen schon ganz traurig sind. Und du bist die Antwort.«
Ich habe Helen immer gemocht und bedaure sehr, sie in die Irre führen zu müssen. Allerdings erklärt das etwas, was sie mir bei unserer Hochzeit gesagt hat. Ich finde es herrlich, wenn kleine Ungereimtheiten plötzlich Sinn ergeben.
»Eine äußerst zwingende Beweisführung, Helen, aber ich bin nicht Clares Freund.«
»Und warum sitzt du in ihrem Auto?«
Mir kommt eine Idee. Clare wird mich dafür umbringen. »Ich bin ein Freund ihrer Eltern. Sie waren beunruhigt, dass sie mit dem Auto zu einer Party fährt, bei der es vielleicht Alkohol gibt, also haben sie mich gebeten, sie zu begleiten und Chauffeur zu spielen, falls sie zu betrunken ist, um selbst zu fahren.«
Helen zieht eine Schnute. »Das ist reichlich überflüssig. Mit den Mengen, die unsere Clare trinkt, kann man nicht mal einen klitzekleinen Fingerhut füllen...«
»Ich habe nicht behauptet, dass sie trinkt. Aber ihre Eltern waren ganz panisch.«
Auf dem Gehweg nähern sich Stöckelschuhe. Diesmal ist es Clare. Sie erstarrt, als sie sieht, dass ich nicht allein bin.
Helen springt aus dem Auto und sagt: »Clare! Dieser ungezogene Mann behauptet, er sei nicht dein Freund.«
Clare und ich wechseln einen Blick. »Ist er ja auch nicht«, erwidert sie knapp.
»Oh«, sagt Helen. »Gehst du schon?«
»Es ist fast Mitternacht.« Clare läuft ums Auto herum und öffnet die Tür. »Komm, Henry, fahren wir.« Sie startet den Motor und schaltet das Licht ein.
Helen steht wie erstarrt im Scheinwerferlicht. Dann kommt sie zu mir auf die Beifahrerseite. »Von wegen nicht ihr Freund, Henry. Einen Moment lang hattest du mich glatt so weit. Bis bald, Clare.« Sie lacht, während Clare ungeschickt ausparkt und losfährt. Ruth wohnt in der Conger Street. Als wir in die Broadway abbiegen, sehe ich, dass alle Straßenlampen ausgeschaltet sind. Die Broadway ist eine zweispurige Straße, die kerzengerade verläuft, aber ohne Straßenbeleuchtung ist es, als würde man in ein Tintenfass fahren.
»Mach lieber das Fernlicht an, Clare«, sage ich. Sie greift nach vorn und schaltet die Scheinwerfer ganz aus.
»Clare!«
»Sag mir nicht, was ich tun soll!«
Ich bin still. Außer den beleuchteten Ziffern der Radiouhr kann ich nichts erkennen. Es ist 23.36 Uhr. Ich höre die Luft am Auto vorbeizischen, den Motor summen; ich spüre, wie die Reifen über den Asphalt rauschen, aber wir selbst scheinen irgendwie reglos, und die Welt um uns herum bewegt sich mit siebzig Kilometern pro Stunde. Ich schließe die Augen. Das Gefühl bleibt. Ich öffne sie wieder. Mein Herz rast.
In der Ferne tauchen Scheinwerfer auf. Clare schaltet das Licht ein, und wir rasen wieder vorwärts, perfekt ausgerichtet zwischen dem gelben Mittelstreifen und dem Straßenrand. Es ist 23.38 Uhr.
Clare sitzt ausdruckslos im Widerschein der Armaturenbeleuchtung. »Warum hast du das
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