Die Frau des Zeitreisenden
Michigan sind hart.«
»Meistens hab ich dich in den Keller geschmuggelt; unser Haus hat einen riesigen Keller mit mehreren Räumen, in einem davon werden Sachen gelagert, auf der anderen Seite der Wand ist die Heizung. Wir nennen es den Leseraum, weil dort alle unbenutzten alten Bücher und Zeitschriften aufgehoben werden. Einmal warst du unten, als es einen Schneesturm gab, und keiner konnte in die Schule oder zur Arbeit gehen, und es hat mich fast wahnsinnig gemacht, dir Essen zu organisieren, denn es war nicht mehr viel im Haus. Etta wollte gerade einkaufen gehen, als der Sturm einsetzte. Du hast also festgesessen, musstest drei Tage lang alte Reader’'s Digest lesen und dich von Ölsardinen und Ramen-Nudeln ernähren.«
»Klingt salzig. Ich freu mich schon drauf.« Unser Essen kommt. »Hast du jemals kochen gelernt?«
»Nein, ich würde nicht behaupten, dass ich kochen kann. Nell und Etta wurden schon unruhig, wenn ich in der Küche mehr machen wollte als eine Cola aus dem Kühlschrank holen, und seit ich nach Chicago gezogen bin, gibt es niemanden, den ich bekochen könnte, folglich fehlt mir die Motivation, um meine Kochkünste zu verfeinern. Meistens bin ich zu sehr mit der Schule und allem beschäftigt, dann esse ich einfach dort.« Clare nimmt einen Bissen von ihrem Curry. »Schmeckt wirklich gut.«
»Wer sind Nell und Etta?«
»Nell ist unsere Köchin.« Clare lächelt. »Nell ist die schwarze Antwort auf die französische Küche, stell dir Aretha Franklin mit einer Crepe-Pfanne in der Hand vor. Etta ist unsere Haushälterin und vielseitig begabtes bestes Stück. Eigentlich ist sie fast so was wie unsere Mom; im Ernst, meine Mutter ist... na ja, Etta ist einfach immer da, sie ist eine strenge Deutsche, aber sehr beruhigend, während meine Mutter irgendwie ständig in höheren Regionen schwebt, verstehst du?«
Ich nicke, den Mund voll Suppe.
»Ach, und dann ist da noch Peter«, fügt Clare hinzu. »Unser Gärtner.«
»Wow. Eine Familie mit Dienstpersonal. Nicht gerade meine Liga. Hab ich mal jemanden aus deiner Familie kennen gelernt?«
»Ja, meine Grandma Meagram, kurz vor ihrem Tod. Sie war die Einzige, der ich von dir erzählt hatte. Damals war sie schon fast blind. Sie wusste, dass wir heiraten werden und wollte dich kennen lernen.«
Ich unterbreche das Essen und sehe Clare an. Sie erwidert meinen Blick ruhig, engelhaft, absolut entspannt. »Wir werden heiraten?«
»Das nehme ich doch an«, erwidert sie. »Du hast mir jahrelang erzählt, du seist mit mir verheiratet, ganz gleich, aus welcher Zeit du kommst.«
Zu viel. Das ist zu viel. Ich schließe die Augen und zwinge mich, an nichts zu denken. Das Letzte, was ich möchte, ist die Herrschaft über das Hier und Jetzt zu verlieren.
»Henry? Henry, ist alles in Ordnung?« Ich spüre, wie Clare zu mir auf den Sitz rutscht. Als ich die Augen öffne, nimmt sie meine Hände fest in die ihren. Ich betrachte ihre Hände und stelle fest, es sind die rauen, aufgesprungenen Hände einer Arbeiterin.
»Henry, tut mir Leid, aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Plötzlich ist alles so umgedreht. Mein ganzes Leben lang warst du derjenige, der immer alles wusste, und ich hab irgendwie nicht daran gedacht, dass ich heute Abend vielleicht nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte.« Sie lächelt. »Eine deiner letzten Bemerkungen, bevor du gegangen bist, war: >Hab Erbarmen, Clare.< Du hast es mit deiner Vortragsstimme gesagt, aber wenn ich’s mir jetzt recht überlege, hast du vermutlich mich zitiert.« Sie hält immer noch meine Hände und sieht mich erwartungsvoll an, voller Liebe. Ich fühle mich zutiefst geehrt.
»Clare?«
»Ja?«
»Könnten wir noch mal zurückgehen? Könnten wir so tun, als wäre das eine normale erste Verabredung zwischen zwei normalen Menschen?«
»Meinetwegen.« Clare steht auf und geht an ihre Tischseite zurück. Sie setzt sich gerade hin und versucht, nicht zu lächeln.
»Genau. Also, Clare, erzähl mir ein bisschen von dir. Hobbys? Haustiere? Besondere sexuelle Vorlieben?«
»Musst du selber raus finden.«
»Klar. Mal sehen... wo gehst du zur Schule? Was studierst du?«
»Ich bin an der School of the Art Institute, bisher habe ich Bildhauerei studiert, und jetzt fange ich gerade mit Papierherstellung an.«
»Interessant. Und wie sieht dein Werk aus?«
Zum ersten Mal scheint Clare sich unwohl zu fühlen. »Irgendwie ... groß, und es geht um ... Vögel.« Sie blickt auf den Tisch, dann nippt sie an
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