Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
sagte, sie sei eine Närrin und Bücher seien überschätzt und unhygienisch. »Du weißt nie, wer an den Seiten rumgefummelt hat.«
Doch Eva liebte ihren Job.
Die schwere Außentür aufzuschließen und das stille Innere zu betreten, während sich das Morgenlicht von den hohen Fenstern auf die wartenden Bücher ergoss, erfüllte sie mit solcher Freude, dass sie auch umsonst gearbeitet hätte.
8
Es war am Nachmittag des fünften Tages, als Peter, der Fensterputzer, anrief. Eva hatte mit Unterbrechungen zwölf Stunden geschlafen. Auf diesen Luxus hatte sie sich gefreut, seit man vor über siebzehn Jahren die Zwillinge aus ihrem Bauch geholt und ihr in den Arm gelegt hatte.
Brianne war ein kränkliches, blasses und unleidliches Kind gewesen, mit schwarzem Haarschopf und permanent gerunzelter Stirn. Sie schlief unruhig und wachte beim geringsten Geräusch auf. Eva hörte das dünne Wimmern ihrer Tochter und beeilte sich, sie auf den Arm zu nehmen, bevor es zu haltlosem Gebrüll wurde. Brian junior schlief nachts durch, und wenn er morgens aufwachte, spielte er mit seinen Zehen und lächelte das Scooby-Doo-Mobile über seinem Kopf an. Ruby pflegte zu sagen: »Dieses Kind ist ein Geschenk des Himmels.«
Wenn Brianne auf Evas Arm schrie, riet Ruby: »Füll ihr drei oder vier Zentimeter Brandy ins Fläschchen. Meine Mutter hat das auch gemacht. Hat mir nicht geschadet.«
Eva betrachtete Rubys verlebtes Gesicht und schauderte.
Seit zehn Jahren sprach sie jeden Monat mit ihrem Fensterputzer, und doch wusste sie nichts über ihn – bis auf die Tatsache, dass er Peter Rose hieß, verheiratet war und eine behinderte Tochter namens Abigail hatte. Sie hörte seine Leiter an der Hauswand entlangschaben, bevor er sie ans Fenstersims lehnte. Hätte sie sich verstecken wollen, hätte sie ins Bad laufen können, doch sie beschloss, es zu »überspielen« – ein Ausdruck, den Brianne häufig verwendete und den Eva als »peinliche Situationen mit einem Lächeln meistern« interpretierte.
Also lächelte Eva und winkte unbeholfen, als Peters Kopf über der Fensterbank auftauchte. Seine Wangen färbten sich vor Verlegenheit rot. Er steckte den Kopf durchs offene Fenster und fragte: »Soll ich später wiederkommen?«
»Nein«, sagte sie. »Lassen Sie sich nicht stören.«
Er schmierte Seifenwasser auf das ganze Fenster und fragte: »Sind Sie krank?«
»Ich wollte einfach nur im Bett bleiben«, sagte sie.
»Das würde ich an meinem freien Tag auch gern machen«, gestand er. »Mich einigeln. Aber das geht nicht. Wegen Abigail …«
»Wie geht es ihr?«, fragte Eva.
»So wie immer«, sagte Peter, »nur dass sie immer schwerer wird. Sie kann nicht reden, sie kann nicht gehen, sie macht nichts selbst … « Er verstummte, während er rabiat das Fenster scheuerte. »Sie braucht noch Windeln, und das mit vierzehn. Sie ist nicht mal hübsch. Ihre Mum gibt sich Mühe. Ihre Sachen passen farblich immer zusammen und sie ist immer ordentlich gekämmt. Abigail hat Glück, denk ich. Sie hat die beste Mutter der Welt.«
Eva sagte: »Ich könnte das nicht.«
Peter benutzte ein Gerät, das aussah wie ein abgebrochener Scheibenwischer, um das Fenster vom überschüssigen Wasser zu befreien.
»Warum nicht?«, fragte er, als würde ihn das wirklich interessieren.
Eva sagte: »Der ganze Stress. Eine Vierzehnjährige schleppen und nichts zurückkriegen. Ich könnte das nicht.«
Peter sagte: »Geht mir genauso. Nie lächelt sie, nie würdigt sie, wenn man ihr was Gutes tut. Manchmal hab ich das Gefühl, sie verarscht uns. Simone findet mich deshalb fies. Sie sagt, ich hab ein schlechtes Karma. Sie sagt, Abigail ist meinetwegen so. Vielleicht hat sie recht. Als Kind hab ich schlimme Sachen gemacht.«
Eva sagte: »Ich bin sicher, damit hat es nichts zu tun. Dass Abigail hier ist, hat einen Grund.«
Peter fragte: »Welchen Grund?«
Eva sagte: »Vielleicht, Ihre gute Seite zum Vorschein zu bringen, Peter.«
Während er seine Gerätschaften zusammenpackte, um die Leiter hinunterzuklettern, sagte er: »Abigail schläft jetzt bei uns im Bett. Ich schlafe im Gästezimmer. Ich lebe wie ein alter Mann, dabei bin ich erst vierunddreißig. Als Nächstes wachsen mir Haare aus den Ohren und ich singe: ›It’s A Long Fucking Way To Tipperary‹.«
Er verschwand aus ihrem Blickfeld und ein paar Augenblicke später wurde die Leiter entfernt.
Eva war überwältigt von Peters trauriger Geschichte. Sie stellte sich vor, wie er am Schlafzimmer vorbeiging,
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