Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
Bett. »Das Guthaben ist alle!«, sagte sie wütend und sah Brianne an, als sei es ihre Schuld.
Brianne sagte: »Ich sollte meine Mutter anrufen.«
Poppy sagte: »Du kannst froh sein, dass du eine Mutter hast. Ich hab niemanden.« Sie setzte eine »lustige« Kleinmädchenstimme auf: »Ach, arme Poppy, ganz allein auf der Welt. Niemand, der sie lieb hat.«
Brianne zwang sich zu einem Lächeln.
Poppy erklärte, wieder mit normaler Stimme: »Ich bin eine gute Schauspielerin. Es war eine knappe Entscheidung zwischen Leeds und der Schauspielschule. Ehrlich gesagt, gefallen mir die Studenten hier nicht. Sie sind total provinziell. Und ich hab schon gar keine Lust mehr auf Amerikanistik – man kriegt Amerika nicht mal zu sehen. Ich überlege, ob ich nicht lieber dasselbe studiere wie du. Was war das noch mal?«
»Astrophysik«, sagte Brianne.
Es klopfte zaghaft an der Tür. Brianne öffnete. Brian junior stand davor. »Lasziv« war das Wort, das sein frühmorgendliches Aussehen wohl am besten beschrieb. Seine Lider waren schwer, sein Haar vom Schlaf verführerisch zerzaust.
Poppy rief: »Hi, Bri! Was hast du die ganze Zeit in deinem Zimmer gemacht, du ungezogener Junge?«
Brian junior errötete und sagte: »Ich komm nachher noch mal wieder … wenn …«
»Nein«, sagte Brianne, »erzähl es mir jetzt.«
Brian junior sagte: »Es ist nicht so wichtig, aber Dad hat angerufen und gesagt, dass Mum sich, nachdem wir weg waren, samt Klamotten ins Bett gelegt hat, mit Schuhen und Strümpfen, und dass sie da immer noch ist.«
Poppy sagte: »Ich trage oft Schuhe im Bett. Es gibt keinen Mann auf der Welt, der eine Frau nicht gern in Stilettos sieht.« Sie drängelte sich zwischen den Zwillingen hindurch zum Korridor und klopfte an die Tür nebenan, wo Ho Lin wohnte – ein chinesischer Medizinstudent. Als er in seinem blau-weiß-gestreiften englischen Pyjama öffnete, sagte Poppy: »Ein Notfall, Schätzchen! Kann ich dein Telefon benutzen?« Sie zwängte sich an ihm vorbei und schloss die Tür.
Brianne und Brian junior sahen sich an. Keiner von ihnen wollte aussprechen, was für ein Monster Poppy war, oder zugeben, dass sie ganz allein ihnen den ersten Geschmack der Freiheit vermiest hatte. Was man nicht aussprach, existierte auch nicht – so kannten sie es von zu Hause. Ihre Mutter war eine introvertierte Frau und hatte sie mit ihrer Verschlossenheit angesteckt.
Brianne sagte: »So ergeht es Frauen, wenn sie die fünfzig überschritten haben. Man nennt es Men-o-pause.«
»Und was machen die dann?«, fragte Brian junior.
»Ach, sie drehen durch, klauen, erstechen ihre Männer, legen sich drei Tage ins Bett … so was eben.«
Brian junior sagte: »Arme Mum. Wir rufen sie nachher an.«
Auf der Einführungsveranstaltung der Studentenvertretung steuerten sie gleich den Mathematikclub an. Sie drängten sich durch die Menge betrunkener Studenten und standen schließlich vor einem Tapeziertisch voll mit großen, fotokopierten, laminierten Gleichungen.
Ein junger Student mit Strickmütze schnappte nach Luft und sagte: »Heilige Scheiße, ihr seid die Biber-Zwillinge. Riesenrespekt. Ihr seid der Hammer! Nein, nein, ihr seid Legenden. Jeder eine Goldmedaille bei der Internationalen Mathematik-Olympiade.« Er sah Brian junior an und sagte: »Und der Sonderpreis. Megarespekt. ›Eine Lösung von herausragender Eleganz.‹ Kannst du sie mir erklären? Das wäre mir eine Ehre.«
Brian junior sagte: »Na ja, wenn du zwei Stunden Zeit hast.«
Der Junge sagte: »Wann du willst, wo du willst. Eine Tutorenstunde bei Brian Biber junior würde sich süperb in meinem Lebenslauf machen. Ich hol nur schnell einen Stift.«
Eine kleine Ansammlung Schaulustiger hatte sich um Brian junior und Brianne gebildet. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Biber-Zwillinge im Saal waren. Während Brian aus dem Gedächtnis den Beweis aufsagte, den er aus dem Nichts herbeigezaubert hatte – nicht einmal die Prüfungsprofessoren waren auf diese Lösung gekommen –, hörte er Brianne sagen: »Oh, Scheiße!«
Poppy hatte sich von hinten angeschlichen. Sie rief: »Da seid ihr ja!« Dann drohte sie den beiden ausgelassen mit dem Finger: »Ihr müsst euch wirklich angewöhnen, mir zu sagen, wo ihr hingeht. Schließlich seid ihr meine besten Freunde.« Sie trug ein altes Taftabendkleid über einem schwarzen Rollkragenpullover. Sie wandte sich an den Studenten mit der Mütze und sagte: »Darf ich bitte mitmachen? Trotz meines mickrigen Gehirns könnte
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