Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
Augen und Nase.
Der Arzt wartete, bis Brian sich gesammelt hatte.
Als er sich beruhigt hatte, fing er an, sich zu entschuldigen. »Tut mir leid, dass ich mich so gehen lasse … ich habe im Moment viel Stress im Job. Einer meiner Kollegen hat einen Aufsatz geschrieben, in dem er die statistische Gültigkeit meiner Abhandlung über Olympus Mons bezweifelt.«
Dr. Lumbago fragte: »Dr. Bee, haben Sie schon mal Cipralex genommen?«, und griff nach seinem Rezeptblock.
18
Jeannette Spears, die 42-jährige Gemeindeschwester, war wenig erfreut, als Dr. Lumbogo sie bat, eine gesunde Frau zu besuchen, die sich weigerte, das Bett zu verlassen.
Während sie ihren kleinen Fiat zu dem ehrbaren Viertel steuerte, wo Mrs. Eva Biber wohnte, beschlugen kleine Tränen des Selbstmitleids ihre Brille, die aussah, als wäre sie von einem Optiker, der mit der Ästhetik der Nazis sympathisierte. Schwester Spears erlaubte sich keine weibliche Zier – es gab nichts, was das harte Leben, das sie für sich gewählt hatte, beschönigte. Die Vorstellung einer gesunden Frau, die sich im Bett herumfläzte, machte sie krank, richtig krank.
Jeannette war jeden Morgen um sieben Uhr startklar – geduscht, in Uniform, Bett gemacht, WC geschrubbt. War es später, geriet sie in Panik – doch vernünftigerweise lagerte sie braune Papiertüten an strategisch günstigen Orten, und nach wenigen Atemzügen war alles wieder in Butter.
Mrs. Biber war ihre letzte Patientin. Es war ein schwieriger Vormittag gewesen: Mr. Kelly mit den stark vereiterten Beinen hatte sie um stärkere Schmerzmittel gebeten, aber, wie sie ihm immer wieder sagte, sie konnte ihm kein Morphium geben. Es bestand die Gefahr, dass er abhängig wurde.
Mr. Kellys Tochter hatte geschrien: »Dad ist zweiundneunzig! Glauben Sie, er endet in der Gosse und spritzt sich Heroin in die Augäpfel?«
Jeannette hatte ihre Schwesterntasche zuschnappen lassen und Kellys Haus verlassen, ohne seine Beine zu behandeln. Sie ließ sich weder anpöbeln noch von den Verwandten der Patienten Vorschriften machen.
Sie verwendete weniger Palliativmedikamente als jede andere Gemeindschwester im Land. Das war offiziell. Schwarz auf weiß. Darauf war sie sehr stolz. Aber sie fand, es hätte ruhig eine Zeremonie mit einer Medaille oder einem Pokal geben können, überreicht von einem V. I. P. der Gesundheitsbehörde – schließlich musste sie im Lauf der Jahre zehntausende von Pfund gespart haben.
Sie parkte vor Evas Haus und blieb kurz sitzen. Das Äußere eines Hauses verriet ihr viel über den Patienten. Ein blühender Blumenkorb war immer ermutigend.
Auf Evas Veranda gab es keinen Blumenkorb. Dafür aber ein Futterhäuschen, Vogeldreck auf dem schwarzweiß gekachelten Boden und nicht ausgespülte Milchflaschen auf der Treppe. In den Ecken lagen Werbeprospekte für Pizza, Curry und chinesisches Essen und tote Ahornblätter. Die Kokosmatte war länger nicht ausgeschüttelt worden. Ein Terracotta-Blumenuntersetzer schien als Aschenbecher zu dienen.
Zu Schwester Spears’ Empörung stand die Haustür leicht offen. Sie rieb den Messingknauf mit einem der antibakteriellen Feuchttücher ab, die sie immer in der Tasche hatte. Von oben hörte sie Gelächter. Sie stieß die Tür auf und ging hinein. Sie stieg die Treppe hinauf und folgte dem Lachen. Schwester Spears konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt laut gelacht hatte. Die Schlafzimmertür war angelehnt, also klopfte sie und ging geradewegs hinein.
Im Bett saß eine glamouröse Frau mit rosa Lippenstift in einem grauen Seidenhemdchen. Sie hatte eine Tüte Thornstons Karamellbonbons in der Hand. Ein junger Mann saß an ihrem Bett und kaute.
Jeannette verkündete: »Ich bin Jeannette Spears. Ich bin die Gemeindeschwester. Dr. Lumbogo hat mich gebeten vorbeizuschauen. Sie sind doch Mrs. Biber?«
Eva nickte. Sie versuchte, mit der Zunge einen Karamellbonbon von einem Weisheitszahn zu lösen.
Der Mann auf dem Bett erhob sich. »Ich bin der Fensterputzer«, sagte er.
Jeannette runzelte die Stirn. »Ich sehe weder Leiter noch Eimer noch Fensterleder.«
»Ich bin nicht im Dienst«, sagte er mit Mühe – wegen des Karamellbonbons. »Ich besuche Eva.«
»Und haben ihr eine Tüte Karamellbonbons mitgebracht, wie ich sehe«, sagte Schwester Spears.
Eva sagte: »Danke, dass Sie gekommen sind, aber ich bin nicht krank.«
»Haben Sie Medizin studiert?«, fragte Schwester Spears.
»Nein«, sagte Eva, die ahnte, worauf der Wortwechsel hinauslief. »Aber
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