Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
ich bin voll qualifiziert, eine Meinung zu meinem eigenen Körper zu haben, ich studiere ihn seit fünfzig Jahren.«
Schwester Spears hatte geahnt, dass sie mit niemandem in diesem Haushalt zurechtkommen würde. Wer immer diese nicht gespülten Milchflaschen auf die Treppe gestellt hatte, war offensichtlich ein Monster.
»Aus Ihrer Karte geht hervor, dass Sie beabsichtigen, mindestens ein Jahr im Bett zu bleiben.«
Eva konnte den Blick nicht von Schwester Spears abwenden, die – zugeknöpft, adrett und blitzblank – aussah wie ein verschrumpeltes Kind in Schuluniform.
»Dann will ich nicht weiter stören. Danke fürs Zuhören, Eva. Wir sehen uns morgen. Sie sind ja hier«, sagte Peter lachend.
Nachdem er gegangen war, knöpfte Schwester Spears ihren marineblauen Gabardinemantel auf. »Ich würde Sie gern auf wund gelegene Stellen untersuchen.«
Eva sagte: »Es gibt keine. Ich trage zweimal täglich Creme auf die betroffenen Stellen auf.«
»Was benutzen Sie?«
»Chanel Bodylotion.«
Schwester Spears konnte ihre Verachtung schwer verbergen. »Nun, wenn Sie Ihr Geld für solche Extravaganzen verschwenden wollen, nur zu.«
»Genau«, sagte Eva. »Vielen Dank.«
Etwas an Schwester Spears störte Eva.
»Ich bin nicht krank«, sagte sie erneut.
»Vielleicht nicht körperlich, aber irgendetwas stimmt mit Ihnen nicht. Es ist wohl kaum normal, ein Jahr im Bett bleiben zu wollen und Karamellbonbons zu kauen, nicht wahr?«
Eva kaute ein paar Mal auf ihrem Karamellbonbon und sagte: »Oh, verzeihen Sie, möchten Sie auch einen?« Sie hielt ihr die Tüte hin.
Schwester Spears zögerte, dann sagte sie: »Vielleicht einen kleinen.«
Nach einer gründlichen körperlichen Untersuchung – während der die Schwester noch zwei ziemlich große Brocken Karamell kaute (das war unprofessionell, doch Süßigkeiten hatten schon immer eine tröstliche Wirkung auf sie gehabt), prüfte sie den geistigen Gesundheitszustand.
Sie fragte: »Welcher Tag ist heute?«
Eva dachte einen Augenblick nach und gab dann zu, dass sie es nicht wusste.
»Wissen Sie, welchen Monat wir haben?«
»Ist noch September oder schon Oktober?«
Schwester Spears sagte: »Wir haben die dritte Oktoberwoche.« Dann fragte sie, ob Eva den Namen des derzeitigen Premierministers wisse.
Wieder zögerte Eva. »Ist es Cameron …? Oder Cameron und Clegg?«
Schwester Spears sagte: »Sie sind also nicht sicher, wer der britische Premierminister ist?«
Eva sagte: »Ich nehme Cameron.«
»Sie haben zwei Mal gezögert, Mrs. Biber. Verfolgen Sie das aktuelle Tagesgeschehen?«
Eva erzählte Schwester Spears, sie habe sich früher sehr für Politik interessiert und nachmittags beim Bügeln die Parlamentsdebatten im Fernsehen verfolgt. Es machte sie wütend, wenn gleichgültige Nichtwähler meinten, alle Politiker wären nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Im Stillen schwang sie Reden über die Wichtigkeit des demokratischen Prozesses und betonte die lange und tragische Geschichte des Kampfes für ein allgemeines Wahlrecht – und behauptete irrtümlich, für das Stimmrecht sei sogar ein Rennpferd gestorben.
Doch seit dem Irakkrieg machte sie aus ihrer Verachtung für die politische Klasse keinen Hehl. Was dieses Thema anging, war sie in ihrer Wortwahl nicht zimperlich. Politiker waren »Lügner, Betrüger und Kriegstreiber«.
Schwester Spears sagte: »Mrs. Biber, ich fürchte, ich bin einer der von ihnen geschmähten apolitischen Nichtwähler. Ich würde Ihnen jetzt gern ein wenig Blut abnehmen, für Dr. Lumbogo.«
Sie wickelte einen Venenstauer um Evas Oberarm und nahm die Kappe von einer großen Spritze. Eva starrte auf die Nadel. Eine Nadel dieser Größe hatte sie zuletzt in einer Dokumentation über Nilpferde in Botswana gesehen, wo ein Nilpferd betäubt wurde.
Schwester Spears sagte: »Nur ein kleiner Pieks«, dann vibrierte das kleine Handy am Gürtel ihrer Tracht. Als sie Kellys Nummer sah, war sie erbost. Während sie Eva noch Blut abnahm, stellte sie den Anruf mit einer Hand auf Lautsprecher.
Das erste Geräusch, das Eva hörte, war ein Mann, der schrie, als werde er bei lebendigem Leib verbrannt.
Dann brüllte eine Frauenstimme: »Spears? Wenn Sie nicht in fünf Minuten wieder hier sind, und zwar mit genug Morphium, um Dads Schmerzen zu lindern, werde ich ihm ein Kissen aufs Gesicht drücken! Und ihn umbringen !«
Schwester Spears sagte, ziemlich gefasst: »Ihr Vater bekommt das für sein Alter und seinen Zustand angemessene Quantum Tramadol.
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