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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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herbei. »Heilige Maria, wie blass Sie aussehen«, sagte er.
    »Ach, ein paar Schrammen schaden dem Tapferen nicht«, meldete sich Don Quijote zu Wort. Ich hatte keine Schrammen, aber ich war bestimmt blass vor Kälte und Wut.
    Sancho verdrehte die Augen und half mir aufstehen. »Am besten gehen Sie, junger Herr, nach Hause. Eines Tages werden Sie ein glücklicher Lehrer sein und eine hübsche Familie gründen …«
    »Nach Hause?«, rief Don Quijote, fast heiser vor Aufregung. »Sein Zuhause sind die edlen Worte. Steh auf, Junge. Wer will rasten bei so viel Ungerechtigkeit?«
    »Oh Herr, ich habe aber keinen Platz mehr für blaue Flecken. Lasst den Jungen nach Hause gehen … ich meine ein Haus aus Lehm und Holz und ein Weib aus Fleisch und Blut …«, fügte er fast flehend hinzu.
    »Und fettleibig und träge das ganze Leben damit vergeuden, auf den Tod zu warten. Wie oft soll ich es noch wiederholen, Sancho, Leben ist Kampf, und dafür ist der Junge wie geschaffen. Nur ein wenig Geduld. Der Unterschied zwischen dem Mutigen und dem Feigling ist eine Minute Geduld«, rief er und gab Rocinante die Sporen. Der alte Gaul jedoch dachte nicht daran zu traben, geschweige denn zu galoppieren. Sancho wischte nervös mit den Händen über sein Hemd.
    »Oh Gott, die Reise geht weiter. Seit fünfhundert Jahren kommen wir nicht zur Ruhe …« Er bestieg Rucio, seinen Esel, und bald umhüllte ihn der Nebel.
    Zurück blieb ich mit der Entschlossenheit, geduldig auf dem Weg zu bleiben, den ich für mich geplant hatte.
    Doch so bestechlich logisch mir der Gedanke erschien, so kalt und perfekt waren meine Niederlagen. Ich stieß oft auf Ablehnung. Oft lag ich verzweifelt auf dem Boden und rief Don Quijote um Hilfe, doch der Alte kam und ging, wann es ihm passte. Dennoch erfuhr ich, welchen Nutzen es mir brachte, mit ihm verbunden zu sein, und mit der Zeit war es mir nach Niederlagen leichter ums Herz, wenn ich Don Quijotes Namen rief.
    IBN ARISTO ÜBER DIE ÜBUNG
    Wir wollen nicht länger bei deinen sentimentalen Erinnerungen weilen. Du hast dich in dieser Zeit, von 1964 bis 1970 , neben Schule und Universität, in der Kunst der Textverinnerlichung und Wiedergabe geübt. Und zwar, wenn ich erinnern darf, täglich. Du übtest erst mit kleinen Stücken. Du hast es mit kleinen Sprachflüssen aufgenommen, immer in der Nähe des rettenden Ufers, und dann hast du dich an eigene und an fremde Texte herangewagt, deren Fluss den Vergleich mit dem Rhein nicht zu scheuen braucht. Über Jahre hast du dich an den Flüssen geübt, bevor du deine erste Seefahrt gewagt hast. Und heute kannst und darfst du dich, ohne Bescheidenheit zu heucheln, schon als Kapitän eines Ozeandampfers bezeichnen.
    Schon gut, das rührt mich sehr, aber ich möchte doch fortfahren.
    Nach einem Erlebnis beim Zensor, einem äußerst höflichen Mann, musste ich das Land verlassen. Der Zensor hatte eine meiner Geschichten auf die Hälfte reduziert. Beim Hinausgehen warf ich die Blätter in den Papierkorb, da sie nicht mehr meine Geschichte enthielten, sondern die des Zensors.
    Als ich an jenem Abend sagte, ich würde Niederlagen wie andere Leute Briefmarken sammeln, lachte Don Quijote Tränen. »Dann musst du das Land verlassen. Zieh hinaus, die Fremde ist nicht selten gnädiger als die Heimat. Wäre ich der Don Quijote geworden, wenn ich nicht meine geliebte La Mancha verlassen hätte? Geh, mein Junge, und denk daran, wo immer du bist, ich bin in deiner Nähe«, schloss er pathetisch.
    »Aber der Junge will nach Deutschland, und dort ist es kalt …«, jammerte Sancho. Aber Don Quijote beachtete ihn nicht. Und als ich ihm mitteilte, dass ich mich am nächsten Tag mit einer Ohrfeige gehörig vom Literaturclub verabschieden wollte, war er höchst zufrieden.
    »Junge, du machst dich schon«, sagte er. Sancho verdrehte nur das rechte Auge. Das linke war so geschwollen und blutunterlaufen, dass er es nicht verdrehen konnte.
    Und als hätte mich der Teufel geritten, ging ich tatsächlich am nächsten Tag in den Literaturclub. Ein kleines Plakat an der Tür kündigte »Hemingway« als Thema des Abends an. Die Männer glotzen mich an, in ihren Augen sah ich ihre Unsicherheit, als erwarteten sie meine Ohrfeige, und sie kam. Ich stand auf.
    »Meine Herren«, sagte ich in die knisternde Stille hinein, »ich verlasse meine geliebte Stadt Damaskus und kehre erst zurück, wenn ich schlechtere Literaten als euch getroffen habe.«
    Totenstille für einen Augenblick, dann folgte

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