Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
große Schock im Exil: Kein einziger arabischer Verleger wollte mit mir zusammenarbeiten. Gnädig und zivilisiert war, wer heuchelnd antwortete. Aber die große Mehrheit der Verlage antwortete nicht einmal.
Manchmal schien es mir schwerer, Träume zu begraben als die eigenen Kinder.
Also beschloss ich, auf Deutsch zu schreiben. Ich lernte das literarische Deutsch, indem ich Meister der deutschen Sprache oder wunderbare Übersetzungen der Weltliteratur auf Deutsch studierte und ganze Romane per Hand abschrieb. Ich las Thomas Mann und Kafka, Dürrenmatt und Max Frisch, Peter Bichsel, Márquez und die Bibel. Vor allem liebte ich Satiren, vielleicht weil ich mich mit der Bitterkeit anderer zu trösten versuchte. Ich las Kurt Tucholsky, Heinrich Heine, Oskar Panizza und eben Miguel de Cervantes’ »Don Quijote«. Und ich lachte Tränen über die köstlichen Dialoge zwischen Don Quijote und Sancho Panza. Wenn ich jemals eine grenzenlose Ermutigung erfuhr, so durch Don Quijote, und deshalb las ich ihn gierig, suchte ihn als Vorbild für einen Kämpfer auf verlorenem Posten. Und Sancho Panza hatte Sorge um meinen Verstand, sagte es aber zunächst nicht offen.
»Ich verstehe Sie, oh junger Herr, nicht. Warum suchen Sie die Unruhe. Sie sollten lieber das vornehme Studium abschließen, sich ein schönes Weib suchen, zehn, zwölf Kinder zeugen, sie allabendlich bei Tisch versammeln und betrachten – und sich wie ein Gott fühlen.«
»Das ist ein dummes Geschwätz. Nicht einmal für Dulcinea del Toboso wollte ich bleiben. Draußen ruft die Gerechtigkeit: ›Oh edler Ritter, lass mich gelten!‹ Sancho, du verstehst nicht, der junge Herr ist, wie ich, im Haus der Unruhe geboren und in der Unrast wohnhaft. Er soll eine Geliebte nehmen, deren Schönheit wie die meiner Dulcinea ans Überirdische grenzt … ihre Haarflechten sind gülden, ihre Stirn elysische Felder, ihre Brauen Regenbogen, ihre Augen Sonnen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen. Perlen ihre Zähne, Alabaster ihr Hals, Marmor ihr Busen, Elfenbein ihre Hände …«
Sancho lacht. »Glauben Sie ihm kein Wort, Herr, der Ritter von der traurigen Gestalt traf Dulcinea nicht und wird sie bis zum Ende seines Lebens nicht treffen. Ich aber kenne sie gut. Beim Stangenwerfen schleudert sie das Eisen so weit wie der kräftigste Bursche im Dorf … Die fürchtet weder Tod noch Teufel und zieht jeden Ritter aus der Tinte … Heilige Hurenschande, so ein strammes Ding … sie hat …« Und er machte die Frau zu einem Herkules mit Haaren auf den Zähnen.
Bald verschwanden die beiden wieder, und ich begann zu schreiben und zu erzählen. Ich erzählte in Studentenkreisen und merkte an einem Abend in Heidelberg, dass erzählte Geschichten viel intensiver wirken als vorgelesene. Nun, um allen Missverständnissen vorzubeugen: Nichts liegt mir ferner, als zu behaupten, diese oder jene Erzählweise sei besser. Mir ist wichtig, die Differenz und die dadurch erzielbare Bereicherung zu zeigen. Überhaupt macht die Differenz es möglich, dass das Resultat der kulturellen Begegnung und Befruchtung bei zwei in Berührung gekommenen Kulturen immer größer als die arithmetische Summe beider Kulturen ist. Das gilt sowohl im individuellen Mikrokosmos als auch im gesellschaftlichen Makrokosmos.
IBN ARISTO ÜBER DIE MÜNDLICHE UND SCHRIFTLICHE ERZÄHLWEISE
Entschuldige bitte, wenn ich mich wieder einmische, aber mir ist auch die Differenz wichtiger als die Gleichheit. Differenz führt zum Dialog, zur Bereicherung. Ich möchte daher die Differenz zwischen dem Mündlichen und dem Schriftlichen etwas unter die Lupe nehmen.
Das Mündliche folgt selten einer linearen Erzählweise, die einen Höhepunkt ansteuert, nur um dann auf der anderen Seite der Pyramide langsam zur Lösung (Krimi) oder zur Katastrophe (Drama) abzusteigen. Die Struktur einer schriftlichen Erzählung hat mit der Logik und Rationalität des Schreibens zu tun und ist mit dem Ordnung-Schaffen im Geschriebenen eng verbunden.
Schreiben verfolgt von Anfang an ein Ziel. Und man erreicht ein Ziel am besten auf dem kürzesten Weg einer Geraden, aber auch kurvenreichere Varianten gehören noch dazu. Natürlich gab es in der Moderne, und deren Postmoderne, Experimente, die die Linearität verließen und unter dem Einfluss vieler Weltkulturen, die nun in die Metropole hineinströmten, mutig neue Wege gingen, aber bald ging die Flut zurück, und das Vertraute war wieder auf dem Vormarsch. Heute hat ein postmoderner Roman keine
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