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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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London u.a. – damals auch waren, so spannend und anziehend fand ich diese Romane. Die meisten arabischen Romane, obschon sie in bestem Arabisch geschrieben waren und mit Vertrautem hantierten, langweilten mich dagegen immer mehr. Ich wusste lange nicht, warum. Erst später fand ich die Antwort: Die Mehrheit der arabischen Romanciers ahmten die amerikanischen, französischen, englischen, spanischen oder russischen Erzähler nach. Ein Nachahmer kann seinem Vorbild bis zur Gesichtslosigkeit folgen, aber er bleibt bloß ein erbärmlicher Schatten des Erfinders.
IBN ARISTO ÜBER DIE KREATIVE NACHAHMUNG
    Gestatte mir bitte eine kleine Zwischenbemerkung. Nachahmen an sich ist im Prinzip nicht negativ. Alle Dichtung ist meinem Urgroßvater Aristoteles zufolge nichts anderes als Nachahmung. Er führte die Nachahmung auf einen Trieb des Menschen zurück: durch das Nachahmen zu lernen oder auch nur zu spielen.
    Doch die Dichtung wird zur Kunst, wenn sie das Nachgeahmte durch Erhöhung und Unterstreichung seiner Charaktere stark differenziert.
    Mein Urgroßvater warnte vor einer bis heute beliebten Gleichsetzung von Erzählern und Historikern. Er sagte: »Der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich … darin, dass der eine erzählt, was geschehen ist, der andere, was geschehen könnte. Darum ist die Dichtung auch philosophischer und bedeutender als die Geschichtsschreibung.«
    Schon gut, das ist zweifellos richtig, doch die Nachahmung, die ich anprangere, ist anderer Natur. Hier fügtsich der Unterlegene dem Überlegenen, in der Hoffnung, sich zu retten. Hier handelt es sich um eine sklavische und nicht um eine kreative Nachahmung. Wir wissen heute, dass der Kolonialismus eine solche Deformierung der Menschen verursacht hat, die er militärisch besiegt und ökonomisch ausgebeutet und abhängig gemacht hat. Der arabische Historiker Ibn Chaldun (1332–1406) wusste davon bereits im 14. Jahrhundert und warnte vor den Folgen der sklavischen Nachahmung.
    Und ich selbst erinnere mich noch genau an die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre in den arabischen Ländern, wo unsere Intellektuellen das Eigene lächerlich machten und alles Europäische heiligten.
    Ich aber fand unsere alten Geschichten interessant. Und ich war überzeugt, dass wir zu unseren erzählerischen Wurzeln zurückkehren müssen. Nicht in romantisierender Schwärmerei, sondern um, von ihnen ausgehend, unseren Weg in die Moderne zu gestalten und damit die traditionellen Erzählweisen zu überholen. Ich war und bin überzeugt, dass ohne diesen Gang zurück zu den Ursprüngen keine vernünftige Entwicklung möglich ist.
    Die große Mehrheit der arabischen Autoren nahm lieber Reißaus und unterwarf sich der europäischen Kultur. Sie wurden im Lauf der Zeit zu kleinen Balzacs, Hemingways und sehr, sehr kleinen Kafkas.
    Virginia Woolf, Honoré de Balzac, Lew Tolstoi, Ernest Hemingway, Sidonie-Gabrielle Colette, William Faulkner, Franz Kafka und all die die Autorinnen und Autoren, die der europäischen und der amerikanischen Literatur zu gewaltigem Fortschritt verhalfen, gingen aus einer langen Entwicklung hervor. Sie suchten eine Antwort auf die Krisen, die Kriege und die sozialen Umwälzungen ihrer Zeit. Dagegen verkauften die kolonialisierten Nachahmer ohne jede Beziehung zu ihrer Gesellschaft diese Modelle als Allheilmittel gegen den jahrhundertelangen Stillstand. Sie ähnelten einem, der hungernden Menschen einen europäischen Anzug als Lösung ihrer Probleme anbietet.
    Ich aber wollte mit einer unerschrockenen Naivität einfach die arabische Erzählweise retten, sie vom Aberglauben und Untertanengeist und vom Ballast der Paläste, der Prinzen und Prinzessinnen befreien und ihr durch Aufklärung, Aufmüpfigkeit und Themen unserer Zeit frisches Blut spenden. Statt einer gestelzten, mit Schnörkeln der Künstlichkeit befrachteten Sprache, die nur wenige verstehen, wollte ich eine einfache, lebendige, poetische und moderne Sprache gebrauchen.
    Ich wollte so nahe wie möglich am Mündlichen bleiben, aber die Geschichten gleichzeitig von der geschwätzigen Plauderei reinigen und mit Poesie bereichern. Unterhaltsame Literatur sollte es sein, ja, aber von großer Klasse. Ich hoffte, damit die Faszination des Mündlichen, die ich erlebt hatte, auf meine Zuhörer zu übertragen. Und heute, nach fast fünfundvierzig Jahren intensiver Erfahrung, kann ich sagen: Ich schätze mich sehr glücklich, das Mündliche in vollen Zügen genossen zu haben. Dieses Glück

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