Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
Gelächter. Der Clubpräsident, ein Schwager unseres damaligen Verteidigungsministers, winkte den Saaldiener herbei, doch bevor der große Mann mich anfassen konnte, war ich schon auf dem Weg hinaus.
IBN ARISTO ÜBER EIN PAAR GRUNDSÄTZE DER MÜNDLICHEN ERZÄHLUNG
Und während du den Koffer packst, nach Beirut verschwindest, dort drei Monate auf die Zulassung an einer Universität wartest, nach Heidelberg kommst, da für Jahre verstummst und dich nur langsam erholst, die deutsche Sprache schnell lernst und Chemie studierst, würde ich gerne ein paar grundsätzliche Gedanken zu Mündlichkeit und Schriftlichkeit nahebringen.
Die Kunst des mündlichen Erzählens ist uralt, Jahrtausende alt. Man trug Gedichte, Märchen, Legenden, Sprichwörter, Satiren, religiöse und politische Reden vor. Literatur aber ist mit dem Buchstaben, mit »littera« verbunden. Und es klingt mitleidig, von oraler Literatur, von mündlicher Literatur zu sprechen. Auch wenn klar ist, was gemeint ist, so ist der Ausdruck doch ebenso falsch, wie wenn wir von mündlicher Schrift sprechen würden.
Die Beziehung zwischen dem Mündlichen und dem Schriftlichen ist kompliziert, da wir alle in einer schriftlichen Kultur leben und denken und keinen Einblick in die reinen mündlichen Kulturen haben. Deshalb ist es uns nicht möglich, einfach zu verstehen, wie die mündliche Denkweise und Kommunikation funktionierte. Wir können Spuren davon in den Sagen und alten Dichtungen der Welt wiederfinden, doch oft neigen wir dazu, das Mündliche quasi als Vorstufe des Schriftlichen zu sehen, und damit nehmen wir automatisch eine Herabsetzung vor.
Die Schrift konserviert andererseits nur das, was sie mit den Buchstaben ausdrücken kann. Wir können beispielsweise im Deutschen nicht die arabischen Buchstaben konservieren und im Arabischen weder P noch W noch E noch O aufnehmen bzw. wiedergeben. Wir behelfen uns mit Annäherungen und verändern das Gesprochene. Und so wie in diesen Mikrobeispielen verhält es sich auch in Makrobeispielen. Das Mündliche verliert bzw. verändert sich bei der schriftlichen Fixierung deutlich, so wie die Brüder Grimm verdienstvollerweise vieles an Erzählgut gerettet, aber zugleich verändert haben.
Natürlich bildete und entwickelte sich die Sprache erst in mündlicher Form. Man könnte es anders formulieren: Der Mensch hat die Sprache erfunden, und sie hat aus ihm ein Kulturwesen gemacht. Mit der gesprochenen Sprache beschrieb der Mensch seine Umwelt, identifizierte sie, gab ihr Namen. Man schätzt das Alter der menschlichen Kultur auf fünfzig- bis sechzigtausend Jahre. Die älteste Schrift ist jedoch nicht älter als sechstausend Jahre. Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, weshalb der Mensch anfing, etwas niederzuschreiben. Man geht davon aus, dass die mündliche Überlieferung in Jäger- und Sammlergesellschaften zentral war. Die ersten Versuche, das Gemeinte schriftlich festzuhalten, stellten wahrscheinlich die Piktogramme dar, die sich mit Handel, mit der Menge von Waren beschäftigten. Die These, das Schriftliche habe mit der systematischen Bewässerung angefangen, klingt logisch, denn von diesem Moment an war der Handel mit Waren in großem Maß möglich. Im Orient, Wiege der Schriften, gibt es nur große Flüsse (Euphrat, Tigris, Nil). Deren Bewässerung konnte nur von den Kommunen und vom Staat schriftlich geregelt werden, und das führte später zum alles besitzenden Zentralstaat.
Die Schrift, wie wir sie heute kennen, ist also nur eine Form der Konservierung der Sprache. Bilder, CD s, elektronische Daten usw. sind andere Formen.
Und interessant ist, dass von den 6500 Sprachen, die heute noch existieren, nur ein paar Hundert eine Schrift besitzen.
Die Schrift ist ein Sieg des Visuellen über die Akustik des Wortes. Die Schrift fixiert die Sprache und »setzt andere Operationen im Gehirn in Gang als die orale Kommunikation«, wie Silvio Vietta schreibt. »Das Gehirn muss für die Schriftzeichen ein eigenes Archiv anlegen, mit dem und in dem es dann operieren kann. Es entsteht ein neuer Raum mentaler Objekte, die über Schriftzeichen fixiert, mitgeteilt, ausgetauscht werden können. Erst mit der Schriftkultur als eigene Form der Kommunikation und des Verstehens der Welt beginnt so eine neue, vor allem über die abstrakten Schriftzeichen generierte und vermittelte Kultur der Schrift. Diese Kultur der Schrift eröffnet nun aus sich heraus einen neuen Reichtum mentaler Objekte, sie regt geistige Prozesse an, wird so
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