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Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Titel: Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Grosz
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ihre Tomaten goss. Alex sprach sie auf Ukrainisch an, und ihrer Antwort entnahm ich, dass sie nichts von einer Frau Teichmann oder irgendwas über frühere Hausbewohner wusste, wir uns aber gern umschauen dürften. Meine Frau griff nach meiner Hand.
    Alex hielt die Holztür ins Haus auf, und zu dritt traten wir ein. Wir standen in einem L-förmigen Zimmer, kaum größer als eine Speisekammer – ein kalter, klammer Lagerraum hinter der Küche. Wie wir dort mit gesenkten Köpfen standen, nahmen wir fast den gesamten Platz in Anspruch. Einen Moment lang spürte ich jene Einsamkeit, die mein Vater fern von seinen Eltern gefühlt haben mochte. Ich fragte ihn, ob er wisse, was aus Frau Teichmann geworden sei. »Auschwitz«, antwortete er. »Ich glaube, sie wurde noch am Tag ihrer Ankunft getötet.« Er schaute sich um. »Nein, ich denke nicht, dass dies das richtige Haus ist.«
    Ich blickte mich erneut um – der Raum war L-förmig, und durch das kleine Fenster sah ich aufs Schloss. Als ich etwas sagen wollte, kam mir mein Vater zuvor: »Gehen wir; ich möchte zurück ins Hotel.«
    Er trat nach draußen; ich folgte ihm.
    »Alles in Ordnung?«, wollte ich wissen.
    »Mir geht’s gut; es ist nur nicht das richtige Haus.«
    »Glaubst du, es ist das Haus nebenan?«
    »Nein, ist schon in Ordnung. Lass uns zurück zum Hotel gehen.«
    »Bist du sicher? Wir können Alex bitten, die Nachbarn zu fragen.«
    »Nein, nein, ist schon gut. Gehen wir.«
    Natürlich hatte ich mich bei den Vorbereitungen gefragt, wie es für meinen Vater sein würde, in jene Welt zurückzureisen, die er mit neunzehn Jahren verlassen hatte. Als wir einige Monate zuvor die Route besprachen, sagte er, er fände es wirklich aufregend und freue sich, die Orte wiederzusehen, die wir aufsuchen wollten – trotzdem wusste ich, dass diese Reise nicht einfach für ihn werden würde. Ich legte ihm einen Arm um die Schulter und wollte noch etwas sagen, wollte auf das bestehen, wovon wir beide wussten, dass es richtig war. »Du warst dir doch so sicher, Dad – hast uns direkt hierhergeführt.«
    Er wich zurück. »Ich warte an der Ecke.«
    Ich dankte der Frau auf Englisch, und Alex übersetzte meine Worte. Als wir uns verabschiedet und das Tor hinter uns geschlossen hatten, überquerte mein Vater bereits den Platz und ging Richtung Stadtmitte. Meine Frau schaute mich an, als er in einer Seitenstraße verschwand. »Ist mit deinem Dad alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Warum will er sich nicht erinnern?«, fragte ich zurück.
    »Wie meinst du das?«
    »Dies ist das richtige Haus, aber ich glaube, er ist überzeugt, dass es das nicht sein kann – und er will nicht darüber reden.«
    Am nächsten Morgen fuhren wir zu dem etwa fünfzehn Kilometer südlich gelegenen kleinen Dorf Makarowo, in dem mein Vater geboren worden war. Auf der Hinfahrt zeigte er uns die Häuser, in denen seine Vettern, Großeltern und Urgroßeltern gelebt hatten, sowie das leere Land, auf dem einmal die Synagoge stand. »Da wohnten die Ackermanns«, sagte er und zeigte auf ein mit Brettern vernageltes Betongebäude an einer ruhigen Kreuzung. »Da hat meine Mutter immer eingekauft.«
    Mein Vater bat Alex, rechts abzubiegen. »Omas Haus ist gleich da drüben«, sagte er. Wir fuhren an mehreren Häusern vorbei, dann bat er Alex anzuhalten. Wir standen vor einem hingekauerten Haus mit niedrigem Dach, in dem, so erzählte uns mein Vater, er mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt hatte. Alex ließ uns im Wagen sitzen, während er ausstieg, um mit einigen Leuten am Straßenrand zu reden. Ein älteres Ehepaar kam aus dem Haus, in dem mein Vater geboren worden war. Alex unterhielt sich einige Minuten mit ihnen, dann winkte er uns zu sich. Wir wurden eingeladen, uns das Haus anzusehen, was wir gern taten, doch während der halben Stunde, in der wir uns dort aufhielten, verriet mein Vater mit keinerlei Anzeichen, dass er irgendetwas wiedererkannte. Auf dem Rückweg zum Auto drehte er sich zu mir um und sagte: »Nein, ich glaube, es muss ein anderes Haus sein.«
    »Gehen wir die Straße entlang und schauen uns die anderen Häuser an«, sagte ich.
    »Nein, ist schon in Ordnung, fahren wir einfach wieder.« Meine Frau kam, und ich sagte ihr, mein Dad sei sich nicht sicher, dass dies hier wirklich das Haus meiner Großmutter gewesen war.
    »Ich glaube nicht, dass es das richtige ist«, sagte er.
    »Fragen wir die Nachbarn, vielleicht kann sich jemand noch erinnern«, sagte sie. »Ich hole Alex.«
    »Nein,

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