Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
ein Patient, der eine allzu hohe Meinung von seinem Analytiker hat – und der Analytiker fällt darauf herein. Auch Analytiker haben ihre Ängste, die sich meist darum drehen, ob sie in der Lage sind, mit dem fertigzuwerden, was vom Patienten an sie herangetragen wird. Und fast jeder Analytiker hat schon einmal mit einem Patienten kooperiert, um dafür zu sorgen, dass die verstörendsten Gefühle des Patienten nicht zur Sprache kommen. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass dies bei Dr. A. allzu häufig vorkommt.«
Wir schwiegen einen Augenblick.
Dann sagte ich: »Aus dem, was du erzählst, wird mir nicht klar, ob dir die Therapie geholfen hat. Hat sie?«
»Genau darüber unterhalten wir uns gerade in meinen Sitzungen, da ich finde, dass es an der Zeit wäre, mit der Therapie aufzuhören. Solltest du mich allerdings fragen, ob ich mich von Grund auf geändert habe, müsste ich antworten: Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht sagen. Ich glaube, ich bin nicht mehr so kritisch zu mir. Und ich weiß, dass ich besser über mich Bescheid weiß.«
»Dass deine Denkweise dich zu einem Gefangenen deiner selbst gemacht hat?«
»Ich bin mir dessen stärker bewusst, was hinter den Kulissen vor sich geht«, erzählte Tom. »Und das gibt mir eine gewisse Wahlfreiheit. Wenn ich merke, ich fühle mich verletzt oder deprimiert, kann ich versuchen, dieses Gefühl zu dekodieren – ich kann herausfinden, ob es etwas ist, dass ich mir selbst antue oder etwas, das mir angetan wird. So habe ich einen Ausweg.
Hat man keine Wahl, ist man verloren; man steckt in einem Netz aus Vorwürfen und Selbstvorwürfen fest. Diese Art zu denken – zu sein – sitzt so tief, dass man sie nicht hinterfragen kann, ja, man weiß nicht einmal, dass man sie hat. Man lebt sie einfach. Die Wahl zu haben ist wirklich sehr, sehr befreiend.«
Tom sah dem Kellner nach, der in den vorderen Bereich des Restaurants ging. »Ich muss dir was erzählen«, fuhr er dann fort. »Vor einigen Wochen lag ich im Bett. Jane war unten und machte uns eine Tasse Tee. Ich konnte die Jungen in ihrem Schlafzimmer hören, wie sie lachten, spielten und mit ihren Laserschwertern kämpften – ein perfekter Samstagmorgen. Ich langte zum Radio und stellte den Apparat an, Radio 3. Irgendein Musikstück ging gerade zu Ende, und der Sprecher sagte: ›Statt der im Programm angekündigten Sendung folgt nun ein Beitrag von dem Historiker und Moderator …‹ Im selben Moment dachte ich: ›Ach, so eine Scheiße! Was für ein Mist!‹ Der Sprecher fuhr fort mit der großspurigen, übertrieben dick aufgetragenen Vorstellung dieses wunderbaren, weltweit unübertroffenen Genies, und ich dachte nur: ›Mann, was für ein Schwachsinn! Wer soll denn dieser verdammte Experte sein?‹ Aber gerade, als ich das Radio ausschalten wollte, fiel mein Name. Man brachte eine Sendung, die ich vor mehreren Jahren aufgenommen hatte. Ich prustete vor Lachen. Was für ein surrealer Augenblick.
Keine Ahnung, warum eine meiner alten Sendungen wiederholt wurde. Bestimmt hatte die eigentlich vorgesehene CD einen Kratzer. Egal, entscheidend ist, dass ich all das Unwirkliche, mit dem mich das Leben bombardiert, immer noch überwältigend finde. Ich möchte auch in Zukunft der einzige Experte auf meinem Gebiet sein, und es gibt noch immer einen Teil in mir, der glauben will, dass ich, wenn ich nur nett und anständig bleibe, fleißig arbeite und großen Erfolg habe, vor allen Depressionen und Sorgen geschützt bin. Geändert hat sich nur, dass es in meinem Gedächtnis dieses Repertoire von Auseinandersetzungen mit meiner Therapeutin gibt, auf das ich zugreifen und das ich nutzen kann, um einen Weg aus schmerzhaften Situationen zu finden. Ich fühle mich nicht mehr so einsam.«
Der Kellner legte die Rechnung auf den Tisch. »Lass mich das übernehmen – du hast letztes Mal gezahlt«, sagte Tom.
Ich wusste immer noch nicht, warum er mir nicht schon früher von seiner Therapie erzählt hatte, und ich fragte ihn danach.
»Ich konnte über meine Analyse nicht reden, weil ich nicht wusste, wie ich darüber reden sollte. Wie hätte ich irgendwem – dich eingeschlossen – von diesem Schuh-Tinnef erzählen können, ohne meine Zuhörer glauben zu lassen, dass ich mit der Therapie Zeit und Geld verschwendete? Ich war mir einfach nicht sicher, ob irgendwer unterm Oberflächlichen das Wesentliche erkennen würde.«
Wir knöpften unsere Mäntel zu und traten nach draußen. Tom umarmte mich und ich
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