Die Frau die nie fror
legte mir eine Jacke über die Schultern – und wir haben zugesehen, bis die Feuerwehrwagen kamen. Dann kam auch ein Krankenwagen, und ich wurde in ein Krankenhaus gefahren. Ich habe den Leuten wieder und wieder erzählt, was mit den Tieren passiert ist, aber es hat niemanden interessiert.«
Sie wappnet sich und lächelt dünn, unterkühlt. »Sagen Sie Alejandro, er soll tun, was für ihn richtig ist, und sich um mich keine Sorgen machen. Sagen Sie ihm, mir geht’s gut. Gott kümmert sich liebevoll um mich.«
»Werden Sie schlecht behandelt?«
Sie blinzelt mehrmals schnell, als verstünde sie die Frage nicht. »Man sagt mir, wenn ich meine Medikamente nehme, ist alles okay. Ich will nach Hause, aber ich habe kein Zuhause mehr. Wann kommt Alejandro zurück?« Sie drückt das Kreuz fest auf ihren Hals.
Kapitel 20
I ch bin rechtzeitig aus Falmouth zurück, um Noah von der Schule abzuholen, damit Thomasina und Max ihr gemeinsames langes Wochenende im Foxwoods Resort verbringen können. Thomasina hat einen Schlafanzug für ihn eingepackt, aber er schläft auf der Couch im Wohnzimmer, in seinen schmutzigen Schulklamotten minus Hose. Ich schätze, es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er bestimmte Sachen anzieht oder bestimmte Sachen isst oder denkt oder auf bestimmte Art und Weise empfindet. Wegen genau dieser Einstellung wäre ich entweder eine fürchterliche Mutter oder aber eine echt gute. Mit etwas Glück werde ich’s nie erfahren.
Am Samstagmorgen schleppe ich mich noch total verschlafen um sieben in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen; damit ich meinen kleinen Gast nicht aufwecke, schleiche ich auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer. Als Erstes begegnet mir eine schwarze Schlange aus akribisch aufgestellten Dominosteinen, die sich über den ganzen Boden erstreckt. Sie beginnt in der Mitte des erhabenen Schieferpodests vor dem Kamin, führt bis zur Kante, geht dann auf dem Parkett weiter, immer parallel zu dem Orientteppich, schlängelt sich den Flur hinunter, beschreibt beim Übergang ins Esszimmer mehrere exakte geometrische Figuren und (ich folge ihr, um sie mir genau anzusehen) gabelt sich dann in zwei Linien, die sich wiederholt kreuzen, bevor sie sich zu einem eng nebeneinander verlaufenden Doppelstrang verbinden, der in einer Spirale von vier oder fünf Kreisen unter dem Tisch endet.
Die Dominosteine bewahre ich in einer Truhe neben dem Bücherregal auf. Zu Noahs Freude habe ich in den letzten Jahren immer mal wieder neue dazugepackt und inzwischen eine gigantische Sammlung. Dieser Entwurf jetzt muss so ziemlich alle vorhandenen Steine aufgebraucht haben. Einer seiner bislang besten Entwürfe. Er muss mitten in der Nacht mehrere Stunden auf gewesen sein, und jetzt liegt er völlig weggetreten auf der Couch, das Kissen auf dem Boden und die Laken und Decken wild durcheinander, als wäre ein kleiner Sturm durch die Wohnung gefegt.
Ich gehe in die Küche und fange an, arme Ritter zu machen. Ein paar Minuten später wende ich mich vom Ofen ab und entdecke ihn in der Tür.
»Gute Arbeit«, sage ich.
»Willst du’s machen?«
»Möchtest du vorher etwas essen?«
Er schüttelt den Kopf.
Ich schalte den Herd aus und folge ihm ins Wohnzimmer. Feierlich stellen wir uns vor den ersten Dominostein auf der Kaminumrandung. Der unebene Schiefer macht mir etwas Sorgen, auch der jähe Sturz auf den Boden und der rechte Winkel, wenn die Linie ins Wohnzimmer übergeht. Die Energie wird sich in exakt gleicher Geschwindigkeit über den Doppelstrang fortsetzen müssen, damit er ohne Zwischenfall wieder zusammenkommt, und ein einziger Dominostein, der nicht ganz richtig steht, kann die eng angelegte Spirale völlig zum Stillstand bringen.
Kühl und gelassen, wie ein Pilot, der sich auf den Start vorbereitet, erkundigt sich Noah, ob ich bereit sei.
»Bereit«, antworte ich.
Behutsam stupst er den ersten Dominostein mit dem Finger an. Die Plastiksteine fallen in gleichmäßigem Tempo. Jeder verursacht ein deutlich hörbares Klicken, das sofort ins nächste übergeht und insgesamt ein Schnellfeuer- Rat-ta-tatt ergibt. Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht Stille, als der Dominostein vom Rand des Kamins exakt auf die Kante des Dominosteins auf dem Fußboden fällt, und dann setzt sich das beeindruckende Geklacker dort fort. Noah und ich können unsere Augen gar nicht abwenden von diesem Spektakel des kontrollierten Umfallens, das sich scheinbar ohne äußere Einwirkung quer durch den Raum
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