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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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im Hintergrund gestapelt. Es sieht aus, als wäre ein Großteil der »zehntausend Dinge«, über die Laotse geschrieben hat, hier zusammengetragen worden. Eine korpulente Frau mit einem unpassend elfenhaften Gesicht sitzt hinter der Registrierkasse und folgt mir mit Blicken. Eine weitere Angestellte arbeitet etwa in der Mitte des breiten mittleren Ganges, packt Geschirr aus und arrangiert es auf einem Tisch. Etwa Mitte zwanzig, zierlich, heute vielleicht dreißig Pfund schwerer als auf ihren Hochzeitsfotos. Caridad Jaeger.
    Ich lächle die Kassiererin an. »Ich suche Teller.«
    Sie deutet mit dem Kopf auf die Mitte des Ladens.
    Direkt neben Mrs Jaeger bleibe ich stehen und nehme ein Milchkännchen aus den 1930er Jahren in die Hand. Es ist so hübsch, dass ich es vielleicht wirklich kaufe. Ich halte es hoch. »Haben Sie auch die passende Zuckerdose?«
    Sie runzelt die Stirn, kommt zu mir und betrachtet den Tisch. »Ich denke, ja. Lassen Sie mich nachsehen«, sagt sie und geht einige alte Platten und Schüsseln durch. Sie ist vielleicht zwei, drei Zentimeter kleiner als ich, hat Haare so schwarz wie meine. Ihr Haar ist fettig und zurückgebunden, einzelne Strähnen kräuseln sich hinter den Ohren. Ihre Wimpern sind lang und geschwungen, ihre Nase perfekt geformt. In den Ohren hat sie winzige ­goldene Kreolen, wie sie von kleinen Mädchen getragen werden.
    »Ich dachte, wir hätten sie«, wiederholt sie. »Aber ich finde sie nicht.«
    »Außerdem brauche ich einen Kühlschrank.«
    »Die kann ich Ihnen zeigen.«
    »Gern.«
    Sehr langsam geht sie in den hinteren Teil des Ladens, of­fenbar gibt es im Afterlife keinen Grund zur Eile. Am Ende des Ganges biegen wir um eine Ecke und verlassen das Blickfeld der Kassiererin. Vor einem grünen Frigidaire bleibt Mrs Jaeger stehen.
    »Interessante Farbe«, sage ich.
    »Das ist Avocado.«
    »Ich dachte eher an Weiß.«
    »Oh.« Sie geht ein paar Schritte die Reihe hinunter. »Hier ist einer. Ein Maytag.«
    Sie trägt Jeans und ein graues UMass-Sweatshirt mit Kapuze, das ein paar Nummern zu groß ist. Ihre Daumen stecken in den Löchern an den Bündchen, die wie Halbfingerhandschuhe aussehen. Ihre Finger sind schmutzig, ihre Schultern hängen nach vorn.
    »Normalerweise sind sie fünfundsiebzig oder neunzig Zentimeter breit«, sagt sie. »Welche Breite suchen Sie denn?«
    »Ich bin nicht sicher. Ich werde noch mal zu Hause nachmessen müssen.«
    »Man soll auf beiden Seiten etwa anderthalb bis drei Zen­timeter Platz lassen. Und Sie müssen entscheiden, ob die Tür nach links oder nach rechts aufgeht.«
    Sie hat braune, dumpfe Augen – und ist nicht wirklich da. Ob es an der Krankheit, der Medikation oder einer Abwehrhaltung liegt, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich von einer tiefen, kalten Traurigkeit überschwemmt werde. Zu viele Menschen verlassen diese Welt, bevor ihr Leben richtig begonnen hat.
    Sie fühlt sich unter meinen Blicken nicht wohl. »Möchten Sie sonst noch irgendwas?«
    »Ich interessiere mich außerdem für Wale.«
    »Was?«
    »Für den Atlantischen Nordkaper. Wissen Sie zufälligerweise etwas über diese Tiere?«
    »Was?« Ihre Lippe bebt. Ich bemerke, dass sie einen vollen, weichen Mund hat.
    »Eigentlich suche ich ein Buch«, sage ich. »Ich habe schon dieses hier, und ich hätte gern noch so eines.« Ich ziehe das Walbuch aus meiner Umhängetasche.
    Ihre Augen werden ganz groß, so als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Sie legt eine Hand auf die Tür des Maytag. Macht sie nicht auf, hält einfach nur den Griff fest. Die andere Hand greift nach einem kleinen goldenen Kreuz um ihren Hals.
    »Woher haben Sie das?«, fragt sie.
    »Russell Parnell.«
    »Oh.« Sie lässt die Kühlschranktür los und schiebt ihr Haar verlegen hinter das Ohr. »Hat er es Ihnen geschenkt?« Ihre beiläufige Stimme verrät Enttäuschung.
    »Es ist nur eine Leihgabe.« Ich lege das Buch auf einen Tisch, als wolle ich es nicht mehr.
    Sie legt eine Hand auf den Einband, die Finger gespreizt, eine Geste, die sowohl zärtlich als auch resigniert ist. »Es war eigentlich nur für ihn. Wegen etwas, über das wir gesprochen haben, nur wir beide.«
    »Daher das Namensschild –« Ich schlage das Buch auf, um es ihr zu zeigen. Aber ich kenne die Antwort längst.
    »Ich setze meinen Namen in alle meine Bücher. Weil sie mir gehören.« Sie seufzt. »Dieses hier war mein Geschenk an Alejandro.«
    »Alejandro?« Dann erinnere ich mich an Parnells zweiten Vornamen,

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