Die Frau die nie fror
den ich auf der Website gelesen habe.
»Er war so nett zu mir. Er hat alles geglaubt, was ich ihm erzählt habe.«
Etwas macht klick. »Andere haben Ihnen nicht geglaubt.«
»Natürlich nicht. Ich bin sehr krank. Meine Krankheit erzählt mir Lügen, und diese erzähle ich dann anderen Menschen. Ich weiß ja selbst nicht einmal, was wahr ist.«
»Aber Alejandro hat Ihnen geglaubt.«
»Ja.« Ihr schöner Mund entspannt sich zu einem Lächeln. »Er ist ein Engel. Ich bete jeden Tag für ihn.« Sie träumt einen Moment, dann reckt sie streitlustig das Kinn. »Wer sind Sie?«
»Ich bin eine Freundin von Alejandro. Wir haben uns über … über diese Wale unterhalten. Und über eine Firma, eine fischverarbeitende Firma, die … Nun, manches ist verdächtig.« Ich bin nicht sicher, wie viel ich sagen soll. »Er hat mir das Buch gezeigt, und als ich das Schildchen mit dem Familiennamen sah, war ich nicht sicher, ob das Buch Ihnen gehörte oder ob –«
»Nein. Sprechen Sie seinen Namen nicht aus.« Ihr Blick schießt den Gang hinauf. »Er ist überall, wie der Teufel. Er macht Sie verrückt, gibt Ihnen Elektroschocks.« Sie senkt die Stimme, hebt eine schmutzige, zarte Hand. »Wenn Sie genau hinhören, dann können Sie ihn summen hören.«
Ich lausche und höre das Summen der Leuchtstoffröhren.
Sie lehnt sich zurück. Ihre Augen sind mit einem Mal groß und starr, jemand steht hinter mir.
Ich wirble herum und rechne schon fast damit, Bob Jaeger selbst zu sehen. Aber es ist nur die plumpe Kassiererin, die am Ende des mittleren Ganges steht. »Caridad, was machst du?« Sie spricht es Carrie-dead aus.
Caridads Gesichtszüge erschlaffen. Mit einer eigentümlich kraftvollen Bewegung wendet sie der Frau den Rücken zu, als hätte sie nichts gehört.
»Ich renoviere gerade«, sage ich zu der Kassiererin mit einem schnellen, geschäftsmäßigen Lächeln. »Ein Cottage am Strand. Ich brauche eine komplette Küche – sämtliche Geräte und so weiter. Diese junge Frau hier ist mir behilflich.«
Die Jogginghose der Kassiererin bauscht sich um ihre Knöchel. Unter der breiten, auf den Kopf gestellten Rotunde ihrer Hüften wirken ihre Füße unfassbar klein. Sie grunzt etwas, zieht die Hose hoch und geht.
»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«, frage ich Caridad.
»Worüber?« Missmutig, wie ein bestraftes Kind.
»Bitte. Ich glaube, wir könnten uns gegenseitig helfen.«
Sie knetet das goldene Kreuz zwischen zwei Fingern und flüstert: »Wie geht es Alejandro?«
»Als ich ihn gestern Abend gesehen habe, ging’s ihm gut, aber er ist in Gefahr. Gewisse Leute suchen ihn. Ich möchte ihm helfen, aber ich muss mehr darüber wissen, was mit den Walen los ist. Er will mir nichts sagen. Nachdem ich Sie jetzt kennengelernt habe, weiß ich auch, warum. Er will Sie beschützen.«
Sie sagt nichts, nimmt einfach alles auf, spielt dabei die ganze Zeit mit dem Kreuz, zieht es an der Kette von links nach rechts und wieder zurück. »Meine Schwester«, sagt sie schließlich, »wird mich gleich abholen und mich zum Haus fahren. Sie hat das große Schlafzimmer, ich habe das kleine. Ich verlasse das Haus manchmal nachts, allein. Aber es ist dunkel, und ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Sie ist nicht meine richtige Schwester. Ich bin ein Kind Gottes.« Sie schlendert den Gang hinunter zu einem Herd, legt eine Hand flach auf eine Platte. »Wollen Sie einen Herd?«
»Nein«, sage ich und folge ihr.
Sie schlendert ein Stück weiter zu einem anderen Herd, öffnet die Backofentür, deren rostiges Scharnier quietscht. »Einen Backofen vielleicht?«
»Nein, vielen Dank.«
»Nein. Einen Backofen brauchen Sie nicht.« Mit einem leichten Bedauern schließt sie langsam die Tür.
Wir stehen im Gang und sehen uns an. Ich habe keine Ahnung, was ihr durch den Kopf geht. »Sie müssen mir nichts sagen, Caridad. Ich glaube, ich weiß Bescheid. Vor einigen Jahren haben Sie Ihren Ehemann beschuldigt, und dann wurde festgestellt, dass Sie krank sind. Alejandro ist hergekommen, um einen Artikel über Ihre Behandlung zu schreiben. Er hat sich mit Ihnen getroffen und dann vermutet, dass die Geschichte viel komplizierter ist als angenommen. Sie ist doch komplizierter, Caridad, oder? Sie hatten etwas zu sagen. Die Wahrheit.«
»Ich weiß nicht. Ich kann mich an nichts erinnern.« Ihre Augen füllen sich schnell mit Tränen.
»Denken Sie nach, Caridad. Was Sie über Ihren Mann gesagt haben. Haben Sie darüber mit Alejandro
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