Die Frau die nie fror
rechten, starrt mich ohne jedes Mitleid an. Kochunterricht beendet.
Wäre morgen nicht morgen, dann hätte ich mir jetzt vielleicht gewünscht, gar nicht erst gekommen zu sein. Ich seufze tief. Dann noch einmal. Die Seufzer sind laut und kommen völlig unbeabsichtigt.
Er nimmt eine Flasche Wein und zwei Gläser von der Arbeitsfläche und geht ins Wohnzimmer. Ich folge ihm. Mein Blick fällt auf eine karierte Polstergarnitur, astige Kiefernholztische, einen Wollteppich mit Borte. An der Wand hängt das Gemälde eines Hirschs auf einer Lichtung mit kleinen Lebewesen des Waldes. Lampen mit verschossenen Schirmen.
Er öffnet die Flasche im Hinsetzen, zwischen seine Schenkel geklemmt, den Korkenzieher in der gesunden Hand. Ich traue mich nicht, meine Hilfe anzubieten. Irgendwie bekommt er sie auf, schenkt ein Glas ein. Ehe er das zweite einschenkt, lehne ich dankend ab.
»Oh, super«, meint er sarkastisch, als hätte ich gerade den Vogel abgeschossen. »Bist du Alkoholikerin oder so?«
Ich antworte, wenn ich ein Glas Wein trinke, bliebe es wahrscheinlich nicht bei dem einen und dann wäre ich wahrscheinlich betrunken und höchstwahrscheinlich um halb vier immer noch betrunken, wenn mein Wecker losgeht. Also könnte es dann gut sein, dass ich am Ende noch das Schiff verpasse. Wäre ich Alkoholikerin, würde ich wahrscheinlich nicht hier sitzen, und schon gar nicht stocknüchtern. Dann wäre ich nämlich zu Hause und würde Wodka oder Gin in mich hineinschütten.
Allerdings sei ich gewissermaßen süchtig nach körperlicher Anstrengung, erkläre ich. Während der letzten paar Tage bin ich stundenlang geschwommen und habe hart daran gearbeitet, mich in diesen herrlichen Zustand zu katapultieren, in dem reichlich Endorphine ausgeschüttet werden. Doch mein Atmen und die Schwimmzüge liefen einfach nicht synchron. Ich sei schlicht hundemüde geworden und hätte mich dann aus dem Pool geschleppt. Ach, und außerdem hätte ich ein kleines Problem mit Einkaufen, gestehe ich. Erst neulich hätte ich einen ganzen Abend online verbracht, hätte mir eine Menge Zeugs per Overnight Express schicken lassen, und als dann alles eintraf, hatte ich nicht mal Lust, die Päckchen auszupacken. Was ich natürlich dann doch tat, und eine Zeitlang spielte ich mit dem ganzen neuen Kram herum, als wär’s der traurige Weihnachtsmorgen eines Einzelkindes. Ich blies den ziemlich teuren Überlebensanzug aus Gummi auf, um zu sehen, ob er wirklich funktionierte, was damit endete, dass ich ihn mit einem Schweizer Offiziersmesser perforierte – eine Menge kleiner Werkzeuge und Vorrichtungen und ein nettes glänzendes Rot.
Ich grinse schief. »Das wäre also die breite Palette meiner Abhängigkeiten. Und nichts davon funktioniert sonderlich gut.«
Was nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich habe die Zigarre von letzter Nacht weggelassen und den Genuss, den sie mir bereitet hat. Aber ich wäre ja auch keine echte Süchtige, wenn ich nicht irgendwas zurückhalten würde. Außerdem, manchmal ist eine Zigarre auch einfach nur eine Zigarre.
Ich zelebriere das Stumpen-Ritual genau so, wie Milosa es mir beigebracht hat: Zuerst schnipse ich das Ende ab und lecke das bittere braune Deckblatt an, drehe das Endstück einmal bis zur Mitte zwischen meinen feuchten Lippen. Dann reiße ich ein Streichholz an, sehe zu, wie es auflodert, halte das Feuer still und paffe. Kurze, gut zuredende Züge, bis die Blätter knistern und ich eine konstante rote Glut sehe. Bis der Rauch über die gesamte Länge der Zigarre durch ihr Inneres zieht, meinen Mund vollkommen ausfüllt und ihn schließlich verlässt, um sich wabernd um meinen Kopf zu erheben. Das Rauchen von Stumpen ist wohl kaum ein Trip ins Nirwana, aber es sind schon mal ein paar Haltestellen in diese Richtung. Wie immer ist es allein der Duft, auf den es ankommt: ein dichter, brauner, schmutziger Geruch, der dich auf den Boden holt, dein Gehirn überredet, seinen Vorrat an natürlichen Opiaten freizusetzen, dich in einer heißen, trockenen, unerträglichen Präsenz zu wiegen, wie ein Wüstenwind, in dem man sich bereitwillig niederlegt und braten lässt, schließlich selbst rauchbar wird. Was mich betrifft, vollbringen Zigarren Wunder.
Aber in diesem Augenblick wissen wir beide, Russell Parnell genau wie ich, dass die Substanz, die ich wirklich haben will und wegen der ich eigentlich hier bin, Liebe ist. Dieses Klischee, dieses Rohmaterial von Popsongs, dieser geizige alte Einsiedler in der
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