Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
Vom Netzwerk:
erledigen«, erwidert er lässig. Er verabschiedet sich nicht.
    Der Mann manövriert meine Reisetasche eine Treppe hinunter, trägt sie einen schmalen Gang entlang und lässt sie vor einer Tür fallen. Ich vermute, das wird dann wohl meine Kajüte sein, hier in dem Yacht-Äquivalent eines Bezirks mit billigen Mietwohnungen. Von diesem Gang gehen drei weitere Türen ab, alle geschlossen. Maschinenlärm, nicht zu laut, grummelt durch den Stahlboden in die Sohlen meiner Turnschuhe.
    »Sie sind die Letzte. Wir werden bald ablegen. Sie sollen sich sofort bei Zorina in der Kombüse melden«, sagt er und geht.
    Zorina . Mein neuer Boss. Schräge Namen haben wir also schon mal beide. Vielleicht kommen wir ja miteinander aus.
    Ich betrete meine Kajüte. Es ist wirklich erstaunlich, was man aus einem zwei Meter zehn auf zwei Meter siebzig kleinen Raum machen kann. Es gibt eine gemütliche Koje, einen sauberen Resopalschreibtisch mit leicht zugänglicher Steckdose, einen schmalen Einbauschrank und mehrere Schubladen. Selbst einen Besucherstuhl und einen an der Rückseite der Tür befes­tigten Spiegel, damit ich immer top aussehen kann. Gestärkte Bettwäsche und eine nette Wolldecke sind um die Matratze ­herum festgesteckt. Ein kleines Bullauge bietet einen Näher-geht-es-nicht-Blick aufs Meer. Ein guter Ort, um zu sterben oder zu schreiben oder zu beten, ich habe allerdings keines dieser Dinge vor. Im Moment ist mir mehr nach einer Erkundungstour der näheren Umgebung.
    Ich gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin, und finde die Treppe und, siehe da, direkt daneben, einen Aufzug. Man stelle sich das vor. Ich fahre damit bis zum vierten Deck, genieße das Fifth-Avenue-Ambiente (roter Teppich, goldgeränderte und mit Gold geäderte Spiegel) und trete in eine große Lounge in ak­tuellen Blau- und Grautönen. Gemütliche Klubsessel, Couch­tische und Lampen sind um einen riesigen, an der Wand montierten Fernsehbildschirm arrangiert. Strahlend saubere Fenster erlauben einen Panoramablick auf Neptuns Wasserwelt. Ich sehe zweimal hin, bin überrascht, denn die Skyline von Boston verschwindet recht zügig am Horizont. Die Yacht ist so riesig und liegt so gut im Wasser, dass man ihre Bewegung nicht spüren kann.
    Durch Schiebetüren gelange ich auf ein offenes Deck mit einer Bar, einem Esstisch mit Sitzgelegenheiten für zwölf Personen und einem abgedeckten Jacuzzi unter einer blauen, ausfahrbaren Markise. Drei oder vier Stufen führen von hier zu einem Bereich nahe dem Bug, wo einige bequeme Loungesessel stehen.
    Ich amüsiere mich viel zu sehr, um zu hinterfragen, was Zorina mit sofort meinte – ein doch eher relativer Begriff, trotz seines Bei­geschmacks von Dringlichkeit. Also fahre ich mit dem Aufzug runter auf die dritte Ebene. Als die Türen aufgleiten, stehe ich vor einem sagenhaften großen Salon, der an Versailles erinnert. Brokatvorhänge mit Quasten, Samtsofas, ein riesiger Kronleuchter mit einem Dutzend Etagen voller Kristalle. Ein Flügel, ein schwarzer Yamaha, steht auf einem üppigen, rötlichen Orientteppich von der Größe einer kleinen Eislaufbahn.
    Bis jetzt bin ich noch niemandem begegnet. Kurz frage ich mich, ob ich auf einem Geisterschiff gelandet bin, doch als die Aufzugtür sich zum zweiten Deck öffnet, höre ich in der Ferne Stimmen: Mann, wütend, Frau, befehlend. Fließendes Wasser und Topfgeklapper. Ich gehe durch eine kleine Bibliothek in ein leeres Speisezimmer. Der nächste Raum ist ganz offensichtlich die Kombüse. Ein magerer Kellner taucht mit einem Tablett voller auf den Kopf gestellter Weingläser auf. Seine Haare sind im Nacken ausrasiert und oben stachelig, ein langer Pony fällt über eine Gesichtshälfte. Er wirft einen kurzen Blick in meine Richtung, ist anscheinend wenig überrascht, mich zu sehen, und fängt an, den Tisch einzudecken.
    Ich bin noch nicht so weit, mit irgendwem Bekanntschaft zu schließen, also springe ich zurück in den Fahrstuhl und fahre zum ersten Deck hinunter. Ich betrete einen Korridor, der sanft von Wandleuchtern mit mattiertem Glas beleuchtet wird. Es gibt sechs geschlossene Türen, drei auf jeder Seite – die Gästekabinen, vermute ich. Ich habe erst ein paar Schritte auf dem dicken Berber gemacht, als sich die Tür, an der ich gerade vorbeigehe, öffnet und eine junge Frau in mich hineinrennt.
    »Mensch, tut mir leid«, sagt sie. »Ich sollte beim Gehen die Augen aufmachen. Wie ungeschickt von mir.« Rosenöl, Nelke, mit einem Hauch von holzigem Moos.

Weitere Kostenlose Bücher