Die Frau die nie fror
verborgenen Höhle, der sich hartnäckig geweigert hat, mir sein Gesicht zu zeigen, obwohl ich seinen Bergpfad unzählige Male hinaufgekraxelt bin, um vor seinem Steinhaufen auf die Knie zu fallen.
Vielleicht bin ich unwürdig. Ist mir schon in den Kopf gekommen. Ich weiß nicht, wie man wartet, den rechten Augenblick abwartet. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich mit Sex zufriedengeben werde. Und das habe ich schon vorher, viel zu viele Male. Aber was will man machen? Verlangen ist heftig und roh. Es bohrt dir von innen ein Loch in die Brust und zieht dich in Räume wie diesen, in denen du gezwungen bist, Gläser mit überflüssigem Verführungswein unbeholfen abzulehnen oder anzunehmen.
Ich lebe schon zu lange, um zu glauben, dass diese Nacht mehr sein könnte als flüchtig. Aber morgen breche ich zu einer möglicherweise tödlichen Reise auf, was interessiert’s mich also?
Parnell und ich sitzen uns in dem kleinen Raum gegenüber, eine Spannung zwischen uns. Elektrisch, intensiv, warm. Er will mich. Man merkt es an seinem angespannten Unterkiefer, am konstanten Blick seiner Augen. Wie er die Finger seiner gesunden Hand bewegt, so als stünden Sehnen kurz vor dem Zerreißen.
Wie es wohl sein mag, von diesen Armen umschlungen zu werden, mein Gesicht auf seinen rauen Pullover zu drücken und hoch in seine Augen zu schauen? Wie wäre es wohl, sein Gesicht zu berühren und meine Finger zärtlich über seine Lippen streichen zu lassen, bevor sie geküsst werden? Ich will ihn auch. Ich möchte wissen, wie sich unsere Liebe anfühlen könnte, wäre sie echt.
Doch mein Körper rührt sich nicht. Ich spüre, wie er auf ihn zugehen will, diese kurze Distanz zwischen uns überbrücken, doch er tut es nicht. Er ist bleiern, schwer. Es ist nicht meine Entscheidung – es ist schlicht und einfach das, worauf mein Körper besteht. Sich nicht zu bewegen. Weisheit oder Verrat? , frage ich mich. Doch der Körper beantwortet keine abstrakten Fragen. Er überbrückt einfach diese vier Schritte zwischen Russell Parnell und mir nicht. Ich sitze da, ohne ein Glas Wein in der Hand, komme mir blöd vor wie ein fetter Baum, als hätten meine Füße lange, hässliche Ranken in den Boden geschlagen, um mich an Ort und Stelle zu verwurzeln.
Er sieht, was passiert ist, und sein eigenes Verlangen macht sich würdevoll davon. Nichts für ungut.
Kurz darauf verlasse ich das Haus, stapfe schlechtgelaunt die dunkle Zufahrt zu meinem Wagen hinunter. Ich würde gern wissen, was mein Körper sich eigentlich dabei denkt. Was er mir, weise, wie er ist, aber nicht verraten wird.
Kapitel 23
I ch stehe in tiefschwarzer Nacht auf dem Kai, das Gepäck zu meinen Füßen. Das Taxi, das mich abgesetzt hat, entfernt sich leise. Ich sehe auf die Uhr. Es ist 4 Uhr 43. Ich bin zu früh. Normalerweise würde ich mich hüten, allein und ohne Auto im Dunkeln in diesem Teil der Stadt herumzulungern, aber ich vermute mal, die Straßenräuber und Mörder liegen alle noch im Bett. Helle Scheinwerfer erleuchten einige der sich sanft auf und ab bewegenden Fangschiffe. Die Sea Wolf ist nicht dabei. Außerdem, und das nicht nur nebenbei bemerkt, sind auch überhaupt keine Leute in der Nähe.
Falscher Tag? Falsche Zeit? Falscher Ort? Aber ich schwöre, ich habe Johnny richtig verstanden.
Es ist kalt, ein kleiner Vorgeschmack darauf, was mich Mitte Oktober auf dem Atlantik erwartet, falls ich es jemals bis dorthin schaffe. Ich zucke mit den Achseln unter einer Jacke, die mir schon jetzt zu dünn vorkommt. Es ist Flut – ich kann es am Geräusch des Meerwassers hören, das an den Stützpfeilern nur ein paar Meter unter dem Kai leckt. Ein Streifenwagen rollt den Seaport Boulevard hinunter. Ein Gesicht hell wie Pudding starrt im Vorbeirollen zu mir heraus. Vielleicht hält er mich für eine Prostituierte, die gern an der frischen Luft ist, vielleicht ist es ihm aber auch scheißegal. Ich stampfe mit den Füßen auf, spüre die eiskalte Luft in den Lungen. Hat man mich reingelegt? Stellt man mich auf die Probe? Eine Wasserratte huscht über den Pier.
Ein alter roter Corolla biegt auf das Gelände ein und hält vor dem Kai, lässt die Scheinwerfer an. Der Kofferraumdeckel springt auf. Ein Mann steigt aus und kommt auf mich zu. Er ist Mitte dreißig, sein Haar ordentlich gescheitelt und flach gekämmt. Er schnappt sich meinen Kram. »Hier lang«, sagt er und kehrt zum Auto zurück. Er wirft meine Reisetasche in den Kofferraum, knallt die Klappe zu und
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