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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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zwei Etagen gehende Raumhöhe und der verschrammte Küchentisch sind mir auf unheimliche Weise vertraut, wenn auch kleiner, als ich es in Erinnerung habe. Das ganze Haus wirkt kleiner und auch ein bisschen schäbiger. Die Sonnen­terrasse aus Zedernholz, auf der meine Mutter und ich so viele glück­liche Stunden verbracht haben, ist leer, die Stühle sind bereits für den Winter eingeräumt worden. In den Ecken haben sich schmale, gelbe Birkenblätter angesammelt wie vom Wind verwehter Abfall.
    Drinnen ist es kühl. Charlotte hilft mir, ein Feuer im Holzofen anzufachen. Dann tragen wir mehr Scheite und Anmachholz für den offenen Kamin von dem Holzstoß draußen herein. Auf dem Bücherregal neben dem Kamin liegt ein Stapel New Yorker und The Economist neben Die Dornenvögel und mehreren historischen Liebesromanen. Nicky rennt aufgeregt von ­einem Raum zum anderen, vielleicht weil er versucht zu verstehen, warum ein so großes und helles Haus die meiste Zeit des Jahres unbewohnt bleibt. Als sie gehen, mache ich mir Eier und Toast zum Tee. Dann dusche ich, beziehe das Bett, lege mich hinein und schlafe schließlich ein.
    Am späten Nachmittag bin ich auf, esse wieder – diesmal Pasta und Salat – und versuche, für den nächsten Abschnitt der Reise meine Kräfte und eine Art von emotionalem Gleichgewicht wiederzufinden. In der Bucht treibt bereits Packeis – ich habe es gesehen, als ich mit Charlotte hierhergefahren bin. Sie sagte etwas von einer Sturmvorhersage. Böen bis zu vierzig Knoten, sehr starke Dünung. Selbstmord für kleine Schiffe. Für die Galaxy kein Problem, aber es wird sie dennoch bremsen. Ich schätze, die Yacht wird mindestens ein paar Tage länger brauchen, um an der Nordküste von Labrador entlang in die Hudson Bay zu gelangen. Ich habe einen netten Vorsprung herausgeholt, indem ich mit dem Flugzeug hergekommen bin. Jetzt muss ich jedoch auf Parnell warten und kann nur hoffen, dass er so schnell wie möglich kommt. Dann müssen wir nach Cape Chidley und irgendwie die Herausforderung bewältigen, die Hudson Strait zu überqueren.
    Manchmal löst man knifflige Probleme am besten, indem man sie eine Zeitlang ignoriert. Es ist, als würden sie begreifen, dass sie nicht deine hysterische, von Sorgen geplagte Aufmerksamkeit beherrschen und dann einverstanden sind, kleiner und vernünftiger zu werden. Deshalb nehme ich mir auch die Zeit, ein ordentliches Feuer in dem großen steinernen Kamin zu entfachen, die Dornenvögel aufzuschlagen, mich wie eine Prinzessin auf Urlaub auf der Couch auszubreiten und den Nachmittag einfach verstreichen zu lassen.
    Ich bin in Meggies Schwierigkeiten auf Drogheda vertieft, als ich ein leises Klopfen an der Haustür höre. Als ich öffne, steht ein Inuit von Mitte dreißig vor mir. Er ist etwa eins siebzig groß, kräftig und hat breite Schultern. Er trägt Jeans und einen alten grünen Parka, dessen Reißverschluss offen ist. Sein Gesicht ist rund und voll, mit der geraden Nase und den hohen Wangenknochen aber auch angenehm markant. Ein entspanntes Lächeln und ein Anflug von Schüchternheit in seinen Augen bezwingen mein städtisches Misstrauen. Und dann spüre ich, ohne so ganz zu wissen warum, wie ich zu lächeln anfange. Von irgendwo kenne ich ihn, denke ich.
    Er sagt, sein Name sei Martin Naggek, und als er auf dem Heimweg von der Arbeit vorbeigekommen sei, habe er Rauch aus dem Schornstein kommen sehen und gedacht, er käme kurz vorbei und frage nach, ob Mr Collins vielleicht etwas brauche. Ich sage ihm, ich sei eine frühere Mieterin, die unerwartet in der Gegend sei und mit Mr Collins’ Segen ein paar Tage bliebe. (In dieser Situation habe ich kein Problem damit, die eine oder andere Notlüge zu erzählen.) Wir sind uns einig, dass Mr Collins ein sehr netter Mann ist.
    Dann sagt Martin bedächtig: »Mein Vater war gut mit einer Frau befreundet, die lange Zeit jeden Sommer hergekommen ist. Er hat den Kamin immer im Auge behalten, nur für den Fall, dass sie zurückkommt. Seit er gestorben ist, behalte ich den Kamin im Auge. Familientradition, schätze ich.«
    Ich erzähle ihm von meiner Mutter und dass wir beide vor mehr als zwanzig Jahren einige Male den Juli hier verbracht hätten. Etwas aus der Fassung gebracht, bitte ich ihn herein.
    »Mein Vater hat für diese Frau früher immer Ambra gesammelt. Er hat es in unserem Schuppen aufbewahrt und es ihr gegeben, wenn sie kam.«
    »Ja, das dürfte dann wohl meine Mutter gewesen sein. Sie hat Ambraöl in den

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