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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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auf eine Stadt auf der Karte, auf halber Strecke zwischen Makkovik und Nain. Hopedale. Es dauert einen Moment, bis ich den Namen erkenne, dann kehren die Erinnerungen zurück. In Hopedale haben meine Mutter und ich jeden Sommer einen Monat verbracht, wir haben Blumen gepflückt und Düfte kreiert. Falls sich nichts geändert hat, steht das Haus, das wir von dem Architekten gemietet haben, von September bis Ende Mai leer.
    »Gehen Sie bitte noch mal runter, Margot, und fragen den Wirt, wie man es anstellen müsste, wenn man von hier nach Hopedale wollte.«
    Sie hört die Eindringlichkeit in meiner Stimme und springt direkt auf. An der Tür bleibt sie stehen und dreht sich mit ernstem Gesicht zu mir um. »Pirio, ich helfe Ihnen, weil ich sehe, was sie Ihnen angetan haben, und weil Sie von hier wegmüssen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn man Ihnen noch einmal weh tut oder Sie – Gott bewahre – sogar tötet. Aber ich will auch nicht, dass Bob Schwierigkeiten bekommt. Ich meine, ich weiß ja, dass es nicht so ganz legal ist, was er da tut, aber er hat mir gesagt, es gäbe eine ganze Menge Wale da draußen, und auf lange Sicht macht das dann gar nicht so viel aus. Er ist kein schlechter Mensch, er ist nur … na ja, abenteuerlustig. Sie wissen schon, früher haben Männer ja auch ständig Wale gejagt, und ausgestorben sind die deshalb nicht. Sie würden das selbst sehen, wenn wir dort ankommen. Es gibt immer noch eine ganze Menge von denen. Also, eigentlich sehr viele.«
    Ein paar Sekunden sehen wir uns einfach nur an.
    »Wissen Sie, ich liebe Bob. Selbst wenn ich Dinge tue, die ich besser nicht tun sollte. Ich langweile mich einfach nur. Ich denke mir nichts dabei.«
    »Ich werd’s niemandem verraten, Margot, und ich werde nie vergessen, dass Sie mir geholfen haben.«
    Als sie zurückkommt, ist sie unruhig. »Ich muss mich beeilen. Jetzt brechen langsam alle auf. Und Jorn ist immer noch hinter mir her. Als sollte ich nicht mitkriegen, dass er mich abserviert hat, sobald er vorhin die Motorräder hörte. Ich habe Bob gesagt, ich hätte Kopfschmerzen und würde mich kurz hinlegen. Er geht sowieso nicht davon aus, dass ich etwas esse. Also bin ich hinten raus und habe den Wirt gefragt, wie man nach Hopedale kommt. Eine typische Touristenfrage eben. Er ist ein echt netter Kerl und heißt übrigens Yoskolo. Er sagte, wenn ich kein Schiff nehmen wollte, könnte ich auch fliegen. Ich habe ihn gebeten, mir die Flugzeiten rauszusuchen, und er meinte, morgen früh um 8 Uhr 55 geht ein Flieger.«
    »Danke, Margot.« Ich werde es riskieren, heute Nacht in diesem Zimmer zu bleiben, und dann bei Tagesanbruch leise verschwinden.
    »Viel Glück, Pirio. Passen Sie gut auf sich auf.« Dann ist sie fort.
    Ich trete ans Fenster. Der Mond ist nicht aufgegangen, aber die Myriaden von Sternen sind ganz nah und glitzern. Tief über dem Horizont wirbelt und wogt ein breites smaragdgrünes Band. In seinem unheimlichen Schein fühle ich mich, als stünde ich am Rand der bekannten Welt.
    Warum lässt uns der Gedanke an den Tod immer zum Himmel aufschauen? Ich stelle mir vor, dass Troy jetzt irgendwo da draußen ist, dass er die sich ausbreitenden, bockenden Wellen der Nordlichter reitet, und ich wünsche ihm, dass es besser ist als ein Schuss.

Kapitel 27
    D as Flugzeug ist eine de Havilland Twin Otter mit großen Sichtfenstern und dünn gepolsterten Sitzen für neunzehn Passagiere. An diesem Morgen sind es nur fünf. Eine Inuit-Mutter mit Kind, ein weißer Mann mit der leicht abwesenden ­Ausstrahlung eines Wissenschaftlers, eine ältere Frau mit fettigen, ungepflegten Haaren und ich. Niemand spricht. Eine junge Inuit-Stewardess nimmt unsere Tickets, während man den Piloten durch die offen stehende Tür des Cockpits sieht, wie er Schalter umlegt und die Vorflugkontrolle durchführt. Ich war die ganze letzte Nacht wach. Zuerst habe ich den Gästen zugehört, die es sich in den zur Straße liegenden Zimmern des Gasthofs gemütlich machten. Später, als alles ruhig war, habe ich aus dem Fenster gesehen und auf den Sonnenaufgang gewartet, damit ich genug Licht hatte, um zu verschwinden. Seit wir in der Luft sind, versuche ich zu schlafen, was mir aber nicht gelingt. Erschöpft starre ich aus dem Fenster auf das zerklüftete braune Gelände hinaus, das von keiner einzigen Straße unterbrochen wird, während der Sonnenschein auf der silbernen Tragfläche glitzert. Hopedale taucht pünktlich nach Flugplan auf: Die Runway wie ein

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