Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
Vom Netzwerk:
geantwortet hat.
    Ich bedanke mich bei dem jungen Mann und kehre nach langer Zeit zum ersten Mal in den Laden zurück. Dieselbe Glocke bimmelt, als ich dieselbe ramponierte Tür öffne; die gleichen Gerüche stürmen auf mich ein – Staub und Erdnüsse, Zigarettenqualm, beißende Reinigungsmittel, aufgehübscht mit künstlichen Wiesendüften, und schließlich abgestandene, von einem Ventilator immer wieder durchgequirlte Luft. Niemand hinter der Ladentheke, vor der ein alter Herr geduldig wartet. Ich gehe vorbei an Gängen mit Junkfood, industriell verarbeiteten Lebensmitteln, Süßigkeiten und Kisten mit Erfrischungsgetränken. In den Kühlregalen an der hinteren Wand gibt es Bier, billigen Wein, noch mehr Limonade. Die Ursachen der meisten Krankheiten des Westens sind hier sehr effizient in Regale gestapelt. Am Ende des letzten Ganges, in der hintersten Ecke, ist es doch tatsächlich möglich, Milch, Eier, schlaffen Eisbergsalat und angestoßene Bananen zu erwerben. Auf dem Rückweg zur Theke schnappe ich mir noch ein paar Toilettenartikel.
    Jetzt steht eine Frau mittleren Alters in einem rosa Gap-Sweatshirt hinter der Kasse und gibt die Dosenpfirsiche und den Instantkaffee des alten Mannes ein.
    »Gerade reingekommen?«, fragt die Frau mich, als der alte Mann geht und ich meine Einkäufe auf die Theke lege.
    »Ja, eben erst.«
    »Flieger?«
    »Mhm-mh.«
    »Die Touristensaison ist vorbei, aber es ist trotzdem eine schöne Jahreszeit. Die Bucht friert schon bald komplett zu, und wir haben bergeweise Schnee. Dann ist es hier auch sehr schön. Alles ist still und weiß. Länger hier?«
    »Ein paar Tage.«
    »Drüben im Inn, schätze ich.«
    »Nein, ich will zu einem gemieteten Haus im Norden der Stadt, an der Bucht.« Ich erinnere mich noch sehr gut an die Straße dort – Staub und ausgefahrene Spurrillen – und daran, wie das Haus des Architekten aussah, wenn wir um die letzte Ecke kamen und es als Kontur vor dem Hintergrund des Meeres aufragte.
    »Allein?«
    »Ja. Nur ich.«
    »Oh.« Sie nickt, als wäre dies eine zwar seltsame, dennoch aber häufig beobachtete Angewohnheit der weißen Besucher. »Sie müssen ein Buch schreiben. Letzten Winter hatten wir ­einen Mann hier, der ganz allein drei Monate in einem Ferienhaus gewohnt hat. Wie sich herausstellte, hat er ein Buch geschrieben. Eine frei erfundene Geschichte, hat er gesagt. Sehr netter Mann. Sagte, er sei noch nie mit einem Schneemobil gefahren, und seitdem er hier ist, sei das seine bevorzugte Beförderungsart. Bevorzugt , hat er gesagt. Darüber hab ich echt gelacht.« Während ihre Finger über die Tasten tanzten, haben mich ihre schwarzen Augen taxiert, mein ungewaschenes Haar und meinen handgestrickten Pullover. Keine Jacke, keine Handtasche. Mein Gesicht. »Sie hatten Ärger, stimmt’s?«
    »Ja. Musste mal eine Weile weg. Den Kopf freibekommen.«
    »Mhm-mh.« Sie nickt weise. »Lassen Sie sich Zeit. Hier oben sind Sie sicher. Eine Frau muss nichts tun, was sie nicht auch will. Freiheit ist das Beste.«
    »Jemand wird in den nächsten paar Tagen kommen und nach mir fragen. Er ist mein Freund. Er heißt Parnell. Man erkennt ihn, weil er nur einen gesunden Arm hat. Falls sonst irgendwer nach mir fragt – womit ich nicht rechne –, sagen Sie bitte nichts.«
    Sie lächelt, zeigt Grübchen und kurze Zähne. »Freut mich, dass ein Freund kommt. Was alle anderen betrifft – ich weiß von gar nichts. Ich heiße übrigens Sukie. Normalerweise bin ich selbst hier oder aber meine Tochter Charlotte.«
    Als meine Einkäufe in zwei braune Tüten verstaut sind, merkt sie, dass ich zögere.
    »Ich bin zu Fuß vom Flughafen hergekommen«, sage ich.
    Sie kommt mir freundlich entgegen, indem sie anbietet, Charlotte könne mich fahren, wenn ich das möchte. Ich nehme das Angebot an, und zehn Minuten später rumpeln Charlotte und ich in einem alten Jeep mit abgenutzten Stoßdämpfern über die ausgefahrene Straße zum Haus des Architekten. Ihr siebenjähriger Sohn Nicky begleitet uns. Er steht auf dem Radhaus, hat die Arme um die Kopfstütze seiner Mutter geschlungen und sieht mich mit seinem zarten kleinen Gesicht neugierig an. Seine Geduld wirkt völlig normal, Ergebnis seines Inuit-Temperaments oder der gemächlicheren Lebensweise in diesem Teil der Welt. Plötzlich vermisse ich Noah, dem es, glaube ich, hier oben gefallen würde.
    Ich finde den Schlüssel des Hauses genau an der Stelle, wo er schon immer gehangen hat, an einem Nagel im Schuppen. Die über

Weitere Kostenlose Bücher