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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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ich sagen soll«, flüstere ich.
    »Ist eine Menge zu verdauen.«
    Ich lege die Fotos zurück in das Kästchen.
    »Du kannst sie haben«, sagt Martin.
    »Ich weiß nicht. Ich lass sie erst mal bei dir, okay?« Diese Bilder in meiner Tasche würden sich zu fremd anfühlen, zu schwer. Ich habe immer noch so viel zu tun, bevor ich mich richtig auf das einlassen kann, was ich erfahren habe. Ich drücke Martins Hand, und er lächelt mich an. Schon komisch, aber er kommt mir plötzlich vor wie ein Bruder.
    Tiffany steht in der Tür. Ich weiß nicht, wie lange sie schon dort steht. Ich winke sie zu uns herüber, und sie setzt sich ruhig neben mich auf die Couch.
    »Ich brauche eure Hilfe«, sage ich. Ich erzähle ihnen fast alles, von dem Zusammenstoß, der die Molly Jones versenkte, über die Sea Wolf bis zu Caridad Jaeger und der Galaxy . Noah, Mrs Smith und Troy lasse ich aus, und meine Prellungen sowie meine Flucht streife ich nur. »Sie sind jetzt unterwegs zum Cumberland Sound in der Nähe einiger Inseln und einer Siedlung namens Pang auf Baffin Island. In ein oder zwei Tagen kommt ein Freund von mir, hoffe ich, mit Kameras. Ich möchte so bald wie möglich dort hinauf.«
    »Die einzige Möglichkeit ist fliegen«, sagt Martin. »Du musst die Hudson Strait überqueren. Jenseits von Pang ist das Land völlig unbewohnt. Falls es neblig ist, findest du die Yacht womöglich gar nicht. Falls es klar ist, bleibt immer noch das Pro­blem, wo man überhaupt landet und wie man an sie herankommt, ohne gesehen zu werden.«
    So wie er das alles sagt, raubt es mir glatt den Atem. Er hat mir alles, was ich erzählt habe, unbesehen geglaubt und ist direkt zur Lösung übergegangen. Ich frage mich, ob ihm Entscheidungen wohl immer so leichtfallen. Wenn ja, wäre ich auch gern so.
    »Was den Ort angeht, bist du dir da sicher? Denn das ergibt kaum einen Sinn, falls sie tatsächlich hinter Walen her sind«, sagt er.
    »Ich habe das vom Kapitän. Er hat geredet, als wären sie schon einige Male dort gewesen.«
    Martin nickt kurz. »Okay. Ich habe einen Freund, der uns in seiner Piper Cherokee hinbringen kann.«
    »Uns?«
    »Ich komme mit.«
    Ich sehe Tiffany an, und sie nickt, ohne zu zögern.
    Ich bin irrsinnig glücklich. In Märchen tauchen Helfer immer im allerletzten Augenblick auf. Genau in dem Moment, in dem die Heldin, überzeugt, dass sie allein ist, sich trotzdem der unmöglichen Aufgabe stellt. Martin ist mein Helfer, mein Geschenk der Götter.
    Ich wünschte mir, ich könnte Milosa anrufen. Nachdem ich von Rogers und Isas Liebe erfahren habe, fehlt mir plötzlich mein schwieriger, betrogener Vater. Es ist kein Mitleid, sondern eher ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir wurden beide im Dunkeln belassen. Dann begreife ich, dass ich ihn anrufen kann. Ich bin inzwischen so daran gewöhnt, nicht erreichbar zu sein, dass ich das Telefon auf dem Tisch neben mir nicht einmal bemerkt habe. Die Naggeks erlauben mir sofort, es zu benutzen.
    Maureen meldet sich und stellt mich zu Milosa durch, dessen Stimme deutlich geschwächt klingt. Schweigend hört er sich die Kurzfassung meines Galaxy -Abenteuers an. Ich weiß, dass er darüber nachdenkt, wie er mir helfen kann, aber er sagt nur: Komm zum Abendessen rüber, wenn du zurück bist, und bring deinen Film mit. Ich will fragen: Versprichst du mir auch, dass du dann noch da bist? Aber ich tu’s nicht.
    Ich rufe Thomasina an, und diesmal geht sie ran. »Warum bist du nicht bei mir zu Hause? Du solltest doch schon längst dort sein.«
    »Wir machen so schnell wir können. Jeffrey ist hier, und Noah packt ein paar Sachen zusammen.«
    »Lass weder Max noch irgendwen an Noah heran.«
    »Ich weiß, ich weiß. Sei vorsichtig, Pirio. Und was immer du tust, beeil dich.«
    Ich wünschte, ich könnte auch mit Parnell reden. Ich möchte seine Stimme hören.
    Einige Zeit später bringt Martin mich dann mit seinem Pick-up zurück in das Haus des Architekten. Am Ende der ausgefahrenen Zufahrt halten wir an. Die Scheinwerfer tauchen eine Gruppe Birken zwischen uns und der dunklen Meeresmasse in helles Licht.
    »Darf ich dir etwas sagen, Martin?« Ich habe mein Überleben im Meer und die Ergebnisse der NEDU -Tests noch immer nicht ganz verarbeitet. Sie nicht als Dinge akzeptiert, die mir einfach widerfahren sind. Tatsächlich kommen mir diese Erfahrungen hier in Labrador jedoch erheblich weniger merkwürdig vor als in den Staaten. Es ist, als ob dieser entlegene Ort in seiner bescheidenen Einfachheit

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