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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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irgendwie besser geeignet wäre, den Absurditäten dieser Welt einen Platz einzuräumen.
    Als ich fertig bin mit der Beschreibung meiner Erfahrungen, sieht er weiter durch die Windschutzscheibe hinaus, ohne ein Wort zu sagen; als hätte er seinen Part bereits erledigt, indem er mir zuhört.
    »Hast du schon mal von so was gehört?«, souffliere ich.
    »Ich habe schon vieles gehört. Vor einigen Jahren ist ein Jäger unter das Eis geraten und erst eine ganze Ecke weiter in einem Atemloch der Seehunde wieder hochgekommen. Er hat sich aufs Eis gezogen, hat seine nasse Kleidung aus Seehundfell ausgezogen und ist, ohne zu erfrieren, ins Dorf zurückgekommen. Andere ertrinken – wegen der Kälte oder Erschöpfung oder weil sie vom Gewicht ihrer Kleidung nach unten gezogen werden. Warum manche wiederkommen und andere nicht, ist eine Frage, die hier oben nicht so oft gestellt wird. Es gibt darauf keine Antwort, zumindest keine, die wir kennen können.«
    »Ich habe überlebt«, sage ich eindringlich. »Ich bin eine von denen, die überlebt haben.«
    Er sieht mich liebevoll an und nickt nur.

Kapitel 28
    W ir sitzen zu viert in der brummenden einmotorigen Maschine. Russell Parnell und ich sitzen Schenkel an Schenkel auf dem engen Rücksitz. Martin sitzt vorn neben Jimmy, dem Piloten, der dünn und zahnlos ist und glücklich strahlt, als hätte er schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt wie jetzt. Der Schraubverschluss eines silbernen Flachmanns ragt unter der Taschenklappe seiner Segeltuchjacke hervor. Da Jimmy keine Fahne hat und Martin sich offenbar wohl fühlt, beschließe ich zu ignorieren, was in den Staaten Anlass für eine strafrecht­liche Verfolgung wäre. Wir haben kein Gepäck außer den Kameras, die Parnell mitgebracht hat, eine Kühlbox, und hinten hat Martin ein paar Schlafsäcke und ein kleines Zelt verstaut.
    Parnell hatte auf meine E-Mail geantwortet, mir seine Mobilnummer genannt sowie den Flug, mit dem er kommen würde. Wir umarmten uns bei der Begrüßung auf dem Flughafen, traten dann einen Schritt zurück und sagten etwas unbeholfen hallo. Dann wurde uns bewusst, dass wir die Reihenfolge irgendwie durcheinandergebracht hatten. Es war total nett, mich erneut mit seinem angespannten Lächeln und den rastlosen Augen vertraut zu machen und die Kraft in seiner gesunden Hand zu spüren, als er offenbar beschloss, die Umarmung zu überspielen, indem er kumpelhaft meine Schulter drückte. Wir haben uns eine Menge zu sagen, doch im Moment schweigen wir einfach, während wir die spitzen Gipfel des Gebirgszugs der Torngat Mountains und die schimmernde Labradorsee unter der Maschine vorbeiziehen sehen, die sich nach Osten zu einem sanft geschwungenen Horizont erstreckt. Kleine Eisschollen sprenkeln das funkelnde Wasser, und die ferne Sonne hinterlässt einen kalten, gelben Flecken.
    »Da ist sie«, sagt Martin, und Parnell und ich sehen aus der Frontscheibe auf die riesige, unförmige graugrüne Masse der Baffin Island. Ihre Gipfel sind schneebedeckt, die Hänge fallen jäh zu Grasflächen, Felsnasen und glitzernden Flüssen ab. Jimmy hält die Maschine auf Nordwestkurs, folgt dem Cumberland Sound, tief genug, dass man das Krachen der Brandung an den Klippen deutlich über das Brummen der Maschine hinweg hören kann. Er sagt, wir hätten Glück, denn meistens sei die Insel in Nebel gehüllt. Bei diesem Wetter kann man die Siedlung Pangnirtung im Norden sehen, eine wie hingestreut wirkende Ansammlung niedriger Gebäude, die sich entlang der Küste drängen. Jimmy sagt, manche dieser Gebäude sind wegen der heftigen Windböen mit Stahlkabeln im Boden verankert. Im Hafen liegen zwei Schiffe – ein Versorgungsschiff und eine Art Fangschiff.
    Wenige Minuten später nähern wir uns der vor der Küste liegenden Halbinsel, die Käpt’n Lou mir auf der Seekarte gezeigt hatte. Es ist ein sanfter grüner Hügel im blauen Wasser. Gerade als wir den Scheitel der Halbinsel überqueren, taucht die Galaxy unter uns auf, weiß leuchtend, die Ankerlinie straff gespannt zwischen den beiden Landmassen. Zwei aufblasbare orange Dingis dümpeln achtern, und an Deck liegen zwei Kajaks, die wohl aus einem Lagerraum heraufgeholt worden sein müssen. Ich sehe niemanden, weder auf der Yacht noch auf den Uferstreifen in der Nähe. Falls jemand unser kleines Flugzeug hört, wird man uns wahrscheinlich für einen Piloten hier aus der Gegend halten, der den sonnigen Tag für eine Spritztour nutzt. Trotzdem nehme ich mein Gesicht ein

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