Die Frau die nie fror
Makkovik umbringen wollten, was offensichtlich deine Idee war, und ich weiß auch, dass du Mrs Smith umgebracht hast. Also frage ich mich natürlich, was mich davor bewahrt, in dem Moment, in dem ich aus der Tür trete, genauso zu enden wie alle anderen?«
»Sei kein Idiot. Niemand wird dich vor einem Krankenhaus überfahren.«
»Ich vermute, du wirst mich dann später umbringen. Und Parnell auch. Wie viele Morde kommen dann eigentlich schon zusammen?«
Pause. »Verarsch mich nicht, Pirio.«
Ich senke meine Stimme. »Was ist mit dir passiert, Johnny? Du warst doch früher kein Killer. War’s das Geld? Ein Lexus in der Einfahrt? Rechnungen von Kieferorthopäden?«
»Ich sagte, verarsch mich nicht.«
»Und wenn ich tot bin … nachdem du meine Leiche in den Hafen geworfen hast … wie viele Vogelhäuser wirst du dann bauen müssen, um mich zu vergessen?«
»Du fängst jetzt sofort an zu singen und steigst in diesen Wagen. Außer du willst einen Schrei hören, den du nie wieder vergisst.« Seine Stimme ist gepresst und langsam.
»Zumindest wüsste ich dann, dass er am Leben ist.«
»Oh, das ist er, wenn auch nur noch so gerade eben. Hier kommt der Beweis.«
Ich springe fast vom Stuhl. »Nein, Johnny, nicht –«
Parnells langgezogener Schrei schallt durch die Kapelle. Sabrina sieht mich entsetzt an. Das iPad fällt ihr fast aus den zitternden Händen.
»Okay, Johnny. Immer locker! Ich bin unterwegs. Johnny! Johnny!«, brülle ich ins Telefon, bis der Schrei verstummt. Ich stelle den Lautsprecher aus und singe wieder die Nationalhymne.
Ich bedeute Sabrina, sie soll das Mikrofon ausstellen, und tue pantomimisch so, als würde ich mit einem unsichtbaren Stift in der Luft etwas schreiben.
Sie nickt, legt das iPad ab, steht auf und kommt einen Augenblick später mit einer Hot Topic Einkaufstasche wieder, aus der sie einen Spiralblock zieht, an dem ein Kuli klemmt. Ich schreibe meine E-Mail-Adresse auf den Block, dann zur Sicherheit noch Milosas, und schaue zu, wie sie die Audioaufnahme an beide Adressen versendet. Als sie fertig ist, bin ich bei the land of the free and the home of the brave angelangt.
»Wo bist du jetzt? Warum höre ich keine Hintergrundgeräusche?«, fragt Johnny.
»Kranke Leute machen nicht viel Lärm.«
Ich stehe auf und nicke Sabrina dankbar zu. Ihr Gesichtsausdruck besagt, sie will mit mir kommen, aber gleichzeitig auch lieber nicht.
Ich gehe sehr schnellen Schrittes singend den belebten Flur entlang, bis ich die Vorhalle erreiche. Keiner reagiert darauf. Vielleicht denken alle, ich sei eine Patientin aus der Psychiatrie.
»Wo bist du jetzt?«, will Johnny wissen.
»Der Haupteingang ist direkt vor mir.«
»Siehst du Max?«
Ich verrenke meinen Hals. »Noch nicht.« Ich gehe durch die Drehtür.
»Siehst du ihn jetzt?«
Der blaue Camry steht in zweiter Reihe am Bürgersteig, Max hinter dem Steuer. Er sucht den Eingangsbereich ab. »Ja, jetzt sehe ich ihn.«
»Steig in den weißen SUV dahinter.«
»Was?«
Bevor ich reagieren kann, springt die hintere Tür des SUV auf, und ein Mann steigt aus. Keiner der örtlichen Fischer in dreckigen Klamotten. Ein Kerl in einem schmuddeligen Anzug, mit weißem Hemd und offenem Kragen. Kurze Arme, untersetzt. Er tritt auf eine Art hinter mich, die mich sehr effizient in den Wagen treibt. Ich steige ein und sehe einen weiteren Mann an der gegenüberliegenden Tür sitzen. Bevor ich sein Gesicht erkenne, hebt er den Arm. Etwas bedeckt meine Augen, Nase und den Mund. Der stechende Geruch von irgendwas Chemischem. Der erste Mann ist jetzt hinter mir. Ich werde in den Sitz gedrückt. Meine Muskeln werden zu Wackelpudding, und alles hört auf.
*
Der Schrei einer Möwe zerschneidet die Luft. Irgendwo in der Nähe das rhythmische Scheppern schwerer Maschinen. Die Luft ist kalt und riecht nach Schlamm – einem salzigen, öligen Schlamm –, vermischt mit dem fauligen Geruch von vergammeltem Fisch. Dazu addieren sich diverse andere Umgebungsgerüche: mit Ammoniak abgewaschenes Metall, trockener Rost und der hartnäckige Geruch von menschlichem Schweiß. Ich brauche es nicht zu sehen – was ich wegen der Augenbinde sowieso nicht kann –, um zu wissen, dass ich mich im Verarbeitungstrakt eines großen kommerziellen Fangschiffes befinde.
Obwohl die Galaxy riesig war, konnte man auf ihr in den metallenen Bodenplatten auf den unteren Ebenen das Zittern und Stampfen der Maschinen spüren. Der Boden unter meinen Füßen ist ruhig und gibt im
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