Die Frau die nie fror
gelegentlich die unheimlichen Parabeln der Nordlichter wirbelten.
Lebensmittel und Benzin kauften wir in der kleinen Inuit-Siedlung namens Hopedale. Der nächste Abschnitt der Reise – von Hopedale zum Haus – ist mir als der längste in Erinnerung geblieben, womöglich weil wir wie verrückt über enge, tief ausgefahrene Straßen hoppelten, auf denen unmöglich ein weiterer Wagen Platz gefunden hätte, wenn uns jemals einer entgegengekommen wäre, und die wahrscheinlich im Winter unpassierbar waren. Wenn wir schließlich die letzte Kurve nahmen und die Schöpfung des Architekten in der staubigen Windschutzscheibe auftauchte, da sah es für meine müden Augen so prächtig und phantastisch aus wie ein Bilderbuchhaus.
Die Inneneinrichtung roch nach dem, was draußen vor dem Fenster zu sehen war – Kiefern- und Birkenwälder, glatte graue Felsen und die tiefblaue Labradorsee. Wir verbrachten viel Zeit auf der Zedernholz-Terrasse, lasen, unterhielten uns oder spielten Go Fish . Meine Mutter trug für gewöhnlich einen breitkrempigen Hut, rauchte manchmal und lächelte oft ganz entspannt. Ab und zu reckte sie sich und murmelte verträumt, wie ein Mensch, der auf einer Wolke gleitet.
Innerhalb einer Woche häuften sich auf unserem massiven Küchentisch Schätze aus der Natur – Beeren, Flechten, Moose, Gräser und Blumen steckten in Wassergläsern oder wurden zum Trocknen liegengelassen, noch mit Erdklumpen an den Wurzeln. An den meisten Tagen streunten wir draußen herum, ohne auf die Uhr zu achten, hatten Weidenkörbe dabei, die in meiner Erinnerung immer randvoll waren.
Ich weiß noch genau, wie sie etwas pflückte, es zwischen den Fingern hielt, betrachtete, zerrieb und es sich dann an die Nase hielt. Ich folgte ihrem Beispiel, machte es wie sie, ohne genau zu wissen, was ich tat, und sammelte alles Mögliche in meinem Korb. Alles, was schön war oder seltsam und einen Duft hatte, der wunderbar war, angenehm, aufregend oder schockierend.
Ein Einheimischer betätigte sich als unser Führer und brachte uns durch Sumpfgebiete und über Waldpfade an Orte, die wir allein niemals gefunden hätten. Er hatte einen Sohn, ein paar Jahre älter als ich, mit langen schwarzen Haaren, die im Sonnenlicht schimmerten, wenn er rannte. Wir waren völlig versunken in unser Spiel und kamen ohne Worte aus. Einmal lachte er über mich. Also kletterte ich auf einen herunterhängenden Birkenast, krabbelte höher hinauf und freute mich, dass er besorgt schien, als er mich nicht fand. Als er dicht genug herangekommen war, bewarf ich ihn mit abgebrochenen Zweigen und rutschte dann den glatten Stamm hinunter. Und schon stürmten wir wieder los.
Überall waren Blumen. Blaue Schwertlilien sprenkelten die Felder und Weiden und verströmten ihren süßlich betörenden Duft. Die Kannenpflanzen, die in ihren dicken, wächsernen Blüten Insekten fingen, rochen alt und säuerlich.
Doch die eine Pflanze, die eines Tages unser Leben verändern sollte, war der Engblättrige Sumpfporst, der dort oben Labrador Tea genannt wurde. Er wuchs in Sümpfen und moorigen Wäldern und blühte freundlicherweise in unserem Monat Juli – dicke Büschel winziger weißer Blüten mit dunklen, ellipsenförmigen Blättern, die an der Unterseite eine braune Behaarung hatten. Wenn ein ganzes Feld blühte, hing sein intensiver Wohlgeruch über der Gegend wie Nebel. Einige Leute glaubten an einen narkotisierenden Effekt, dass man auf dem Feld einschlafen und mit Kopfschmerzen wieder aufwachen würde. Andere glaubten, es beflügele die Kreativität und die Liebe. Der Labrador Tea ist eine langsam wachsende Gattung, also sammelten wir immer nur ein paar Blätter und Blüten von jeder Pflanze und steckten sie in Baumwollsäcke. Zu Hause hängten wir sie zum Trocknen auf, ein Verfahren, dem sie sich sehr widerwillig unterwarfen. Sie verströmten stur ihren ungestümen, einschläfernden, knalligen Zitronenduft und waren immer noch feucht, wenn andere Pflanzen längst vertrocknet und leicht zu zerbröseln waren.
Der exotischste unserer Schätze war Ambra, eine wachsartige Restsubstanz, die Wale entweder erbrechen oder in den Ozean ausscheiden. Wenn es jahrelang unter der Sonne im Meer treibt, entwickelt sich ein satter, schmutziger Meeresduft. Wir fanden es, wenn wir an der Küste umherstreiften, wo es in schwarzen Klumpen angeschwemmt wurde, die so klein wie ein Kieselstein, so groß wie eine Faust oder so riesig wie ein Stück Treibholz sein konnten. Ich
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