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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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weswegen ich zustimme, als Parnell etwas zu essen anbietet.
    Während er die Eier brät, blättere ich das Walbuch durch, voll von Vierfarbfotos und informativen Bildunterschriften. Ich erfahre, dass der lateinische Name der Art Eubalaena glacialis lautet. Die frühen Walfänger Neuenglands nannten sie North Atlantic right whale , weil man meinte, sie seien genau die richtigen Wale für die Jagd. Sie sind riesig: vierzig bis achtzig Tonnen Knochen, warmes Blut und Waltran, mit einem Rachen, der groß genug ist, ganze Fischschwärme zu verschlingen. Aber sie sind auch zahnlos, fast blind und verglichen mit anderen Walen bemerkenswert hässlich. Eine Bildunterschrift erklärt mir, dass die Funktion dieser ­unansehnlichen weißen Verkrustungen an ihren Schädeln unbekannt ist. Anscheinend drücken sie sie gern auf den Meeres­boden, und die schuppigen Stellen könnten tatsächlich Schorf sein. Warum tun sie das?, frage ich mich. Selbstzerstörungsdrang? Juckende Kopfhaut? Wiederholte fruchtlose Versuche, sich bei der Wal-Variante von Versteckspielen einzugraben? Ihr merkwürdiges Verhalten bewirkt, dass ich sie mag, so, wie man eine hoffnungslos exzentrische Freundin mag.
    Parnell hält mir einen Teller mit Spiegeleiern und Toast vor die Nase. Ich klappe das Buch zu, und als ich mich vorbeuge, um es auf den Boden zu legen, rutscht der Schutzumschlag herunter. Ich öffne den Einbanddeckel, um das Buch wieder ein­zuschlagen, und starre auf ein eingeklebtes Exlibris auf der ­ansonsten leeren ersten Seite. In der Mitte des Exlibris die gedruckten Worte Aus der Bibliothek von … Der darunter mit blauem Kugelschreiber geschriebene Name lautet Jaeger .
    Ich falle beinahe vom Stuhl.
    »Mit Ihnen alles in Ordnung?«, fragt er.
    »Alles bestens«, sage ich, sitze kerzengerade da.
    »Ich hoffe, Sie mögen gewendetes Spiegelei.« Er schiebt den Teller vor mich.
    Ein Dröhnen schwillt in meinen Ohren an. Ich nuschle irgendwas vor mich hin, sage, dass ich nach Hause muss.
    »Jetzt sofort?«
    »Ich muss.«
    »Kann ich Sie irgendwohin fahren?«
    »Ich nehme den T.«
    »Sicher?«
    »Ich mag den T. Und Ihr Auto ist kaputt.« Ich klinge beknackt.
    »Essen Sie wenigstens vorher was«, sagt er.
    Ich nicke dämlich, verschlinge die Eier, stopfe mir den Toast in den Mund, kaue wie eine Besessene, grinse irre und trinke hastig den Rest meines Kaffees aus. Während ich bereits durch die Tür stolpere, reicht er mir das Walbuch. »Hier. Nehmen Sie’s mit. Und vielen Dank, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
    »Ach, nicht der Rede wert. Freut mich, dass ich zur Stelle war.« Jetzt klingen wir beide ziemlich idiotisch.
    Mein Herz ist auf hundertachtzig und hämmert wie verrückt, als ich die Treppe hinunterlaufe. Fast kann ich Milosa lachen hören. Siehst du jetzt, was Mitleid aus dir macht? Plötzlich steckst du mit dem Feind unter einer Decke, und er zockt deinen Verstand und alles, was du über die Sache weißt, einfach ab.
    Ich erreiche den mit Marmor ausgelegten Hausflur, der auf die Straße führt. Hohe Decke, alte Messingbriefkästen, ein vergoldeter Kristalllüster. Falls jemand in diesem kleinen Raum bedrängt würde, gäbe es keine Fluchtmöglichkeit. Johnny und seine Kumpane hatten sich in der Hafengegend zügig aus dem Staub gemacht, aber wer weiß, ob sie nicht kehrtgemacht haben, um uns zu folgen, und nun draußen warten?
    Eine schmale Treppe führt in den Keller. Ich laufe schnell hinunter. Ein feuchter Geruch, Waschmaschinen und Trockner, ein Rennrad, mit einem Vorhängeschloss an einem Heizungsrohr gesichert. Ein Hinterausgang auf eine Gasse. Zwei Minuten später gehe ich auf einer kühlen, ruhigen Straße Richtung Hay­market Station. Auf den kleinen Plattformen am oberen Ende der Eingangsstufen Chrysanthemen in Blumentöpfen. Der Duft von Kaffee und frisch gebackenem Brot zieht aus dem offenen Fenster eines Cafés herüber.

Kapitel 19
    A ls ich nach Hause komme, google ich zuallererst Russell Parnell. Sechs oder sieben Personen werden gefunden. Einer ist ein Journalist, der etwa zwanzig Artikel in Publikationen wie Vanity Fair , der New York Times und salon.com veröffentlicht hat, neben einer ganzen Reihe kleinerer Tageszeitungen, Magazine und Websites. Bei dem Großteil seiner Arbeiten scheint es sich um Reiserepor­tagen zu handeln. Er hat aber auch über aktuelle medizinische Entwicklungen – Genetik, Psychiatrie, mikrobische Krankheits­erreger, SARS  – geschrieben und einige Umweltthemen aufgegriffen, zum

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