Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Ikea zusammenzuschustern. Das habe ich wirklich voll drauf. Hier gibt es ja nirgendwo Einbauschränke.«
»Absolut!«, bestätigte Julia. »Sie haben völlig recht. Diese alten Bruchbuden wurden gebaut, noch bevor es überhaupt Schränke gab.«
»Deshalb habe ich Monate damit zugebracht, Kommoden und Kleiderschränke zu montieren. Und Lampen. Wieso funktioniert der Strom hier eigentlich nicht genauso wie in Amerika? Das ist doch völlig unlogisch, oder?«
»Finde ich auch. Macht Ihr Mann das denn nicht? Möbel zusammenschrauben, meine ich?«
»Nie. Mein Mann arbeitet nur. Ständig.«
»Meiner auch.«
Sie starrten in ihre Weingläser. Der Kellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen.
»Und?«, fragte Julia. »Wie lange sind Sie schon hier?«
»Seit fünf Wochen.«
»Nicht besonders lange.«
»Nein. Allerdings.«
Es war die Hölle. Am liebsten wäre Kate aufgestanden und hätte das Lokal verlassen, auf Nimmerwiedersehen. Das war einer der vielen Aspekte eines Lebens im Ausland, für die sie einfach nicht geschaffen war: mit wildfremden Leuten sinnlosen Small Talk zu betreiben.
»Wie ich höre«, fuhr Julia fort, »sind Sie aus Washington. Wie aufregend!«
Auch das noch. Es war nervtötend.
Doch Kate war fest entschlossen, es wenigstens zu versuchen. Sie brauchte Freunde und ein richtiges Leben, und genau so gewann man sie: indem man sich mit Fremden unterhielt. Jeder war hier ein Fremder. Alle saßen im selben Boot. All die Merkmale, die einen zu Hause voneinander abgrenzten – Familie, Ausbildung, Lebenserfahrung –, spielten hier plötzlich keine Rolle mehr. Hier fing jeder bei null an. Man saß mit wildfremden Leuten am Tisch und unterhielt sich über Banalitäten, so einfach war das.
»Na ja, eigentlich stamme ich nicht aus D. C.«, erklärte Kate, »ich habe nur die letzten fünfzehn Jahre dort gelebt. Ursprünglich komme ich aus Bridgeport, Connecticut. Und Sie? Woher stammen Sie?«
Der Kellner servierte ihre Vorspeisensalate.
»Aus Chicago. Schon mal dort gewesen?«
»Nein«, räumte Kate mit einem Anflug von Beschämung ein. Chicago war ein Thema, mit dem Dexter sie früher immer aufgezogen hatte. Kate hatte mitgespielt, und inzwischen war das Ganze zu einem der vielen Running Gags zwischen ihnen geworden: Kate hasste Chicago so sehr, dass sie niemals freiwillig einen Fuß in diese Stadt setzen würde. Sie weigerte sich sogar, sich mit Leuten anzufreunden, die aus Chicago kamen.
»Schade«, sagte Julia und löste sich für einen Moment von der Aufgabe, den Ziegenkäsetoast auf ihrem Salat in exakt zwei Hälften zu zerteilen, um Kate anzusehen.
In Wahrheit hasste Kate Chicago gar nicht, sie hatte einfach noch nie Gelegenheit gehabt hinzufahren.
»Vielleicht kommen Sie mich ja mal besuchen, wenn Sie wieder zurückziehen«, sagte Julia. »Wann haben Sie vor, wieder zurückzugehen?«
»Bisher gibt es noch kein konkretes Datum.«
»Bei uns auch nicht.«
»Was macht Ihr Mann denn beruflich?«, erkundigte sich Kate.
»Irgendetwas im Finanzbereich, das ich nicht verstehe.« Julia musterte Kate eindringlich. »Und Ihrer?«
»Dito.«
»Die machen alle irgendetwas im Finanzbereich, das wir nicht verstehen, oder?«
»Sieht ganz so aus.«
Genau darum ging es in Luxemburg – Geld zu machen und möglichst wenig Steuern zu zahlen.
»Na ja, eigentlich habe ich schon eine vage Ahnung, was er macht«, räumte Julia ein. »Er handelt mit Währungen. Aber was das genau bedeutet, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Und Ihrer?«
»Er ist Experte für Computersicherheitssysteme und auf Transaktionssoftware für Finanzinstitute spezialisiert.« Das war die offizielle Erklärung, die sie auswendig gelernt hatte.
»Wow! Das ist ja ziemlich, äh, spezifisch. Was genau macht er da?«
Kate schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht so genau.«
Grob gesagt, bestand Dexters Aufgabe darin zu gewährleisten, dass Hacker keine – oder zumindest so gut wie keine – Möglichkeit hatten, während eines Transaktionsvorgangs unrechtmäßig Geld abzuzweigen. So viel wusste sie. Auf die Sicherheit von Computersystemen hatte Dexter sich im Lauf der letzten zehn Jahre spezialisiert, zuerst bei einem Serviceprovider, dann bei einer Bank und später bei einer anderen Bank, ehe er sich vor einem Jahr als unabhängiger Berater selbstständig gemacht hatte. Und dann war das Angebot aus Luxemburg gekommen.
»Wo arbeitet er denn?«, fragte Julia.
»Er hat sein Büro auf dem Boulevard Royal, aber
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