Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
ich sollte mit der Arbeit aufhören«, sagte Ned. »Er hält das für Drückebergerei und findet, ich sollte Uniformträger werden wie du.«
»Das meint er bestimmt nicht so.«
»Er hat im letzten Krieg seinen Job im Außenministerium an den Nagel gehängt.«
»Und ist in einer Geschützstellung hinter den Linien gelandet und halb taub geworden.«
»Zumindest hat er es versucht.«
»Deine Arbeit ist wichtiger als alles, was du als Soldat tun könntest. Du musst nur erst diese Strahlenkanone ans Laufen bringen.«
Er lachte. Sie waren zu einem Kino gekommen. Eine schwache Leuchtschrift verkündete Excelsior. Leute strömten heraus, lachten und lärmten. Taxis warteten am Straßenrand, und ein Mann rief: »Noch jemand nach Kensington?« Er trug Uniform – ein Captain, wie sie an den Sternen auf den Schulterklappen erkannte –, und er hatte zwei Frauen bei sich. Die Frauen kicherten zusammen, lehnten sich aneinander, um sich gegenseitig zu stützen.
Marian lief zu ihnen. »Könnten Sie mich unterwegs absetzen?«
»Mit Vergnügen, meine Liebe.«
Zu Ned sagte sie: »Wünsch mir Glück.«
»Nun kommen Sie schon«, rief der Captain. »Der Taxameter läuft.«
Als sie ins Taxi steigen wollte, wechselte Ned ins Französische. »Weißt du, wann du nach Frankreich musst?«
Sie blickte sich zu ihm um, eine Hand an der Tür. »Keine Ahnung.«
»Beeilung, Miss. Wir wollen los.«
Sie stieg ein. »Melde dich«, rief er durchs Fenster. »Wie kann ich dich erreichen?«
»Über die Eltern«, sagte sie. »Wie sonst?«
»Ich schick seine Adresse. Die von Clément, meine ich. Nur für alle Fälle.«
Das Taxi fuhr los. Sie blickte zurück und sah ihn auf dem Bürgersteig stehen, bis er kurz winkte und sich abwandte. »Sehr nett von Ihnen, dass Sie gewartet haben«, sagte sie zu den anderen im Taxi. »Entschuldigen Sie die Verzögerung.«
»Wo müssen Sie hin?«, fragte der Offizier. Die Frauen blickten sie an und kicherten. Wieso kicherten die beiden? Waren sie betrunken, oder hatte sie irgendwas Komisches an sich?
»In die Nähe der Regent Street. Das ist doch kein Umweg für Sie, oder?«
»Haben Sie eben nicht Französisch gesprochen?«, fragte eine von den Frauen. »Sind Sie Französin? Meine Güte, für eine Französin klingen Sie aber ganz schön englisch.«
Marian wandte sich ab und sah aus dem Fenster. Es tröpfelte noch immer. Sie dachte an Ned, der jetzt durch den Regen nach Hause ging. »Ich bin beides«, sagte sie. »Oder keins von beidem, wie man’s nimmt.«
SCHOTTLAND
I
Die Reise war eine dieser für Kriegszeiten typischen Odysseen, bei denen Zeit und Vernunft außer Kraft gesetzt schienen. Hin und wieder fuhr der Zug mit entschlossener Geschwindigkeit. Oftmals blieb er aus Gründen, die weder erklärt wurden noch offensichtlich waren, einfach stehen. Die meiste Zeit kroch er im Schneckentempo durch eine Landschaft so grau und feucht wie das Bettzeug der Army – kahle Felder, flache Hügel, kleine, geduckte Wälder.
Das Abteil, in dem sie saß, war reserviert. Inter-Services Research Bureau stand auf dem Zettel an der Tür. Die Begleitoffizierin war eine Schottin namens Janet. Ihre Schützlinge bildeten eine seltsame bunte Gruppe, zu der ein Mann im mittleren Alter gehörte, der sich Emile nannte, und ein Kanadier, der behauptete, Französisch zu sprechen, aber in Wahrheit nur ein gebrochenes und unsicheres Québécois von sich gab. Maurice wurde er genannt. Marian vermutete, dass die richtige Aussprache »Morris« war, aber er hatte dem Namen einen französischen Beiklang gegeben: Moriiis . Die Dritte im Bunde war eine Frau namens Yvette. Sie wirkte so klein und grau und ängstlich wie eine Maus. Vor der Abfahrt in Euston hatte sie Marian auf dem Bahnsteig zugeflüstert, wie froh sie sei, dass noch eine Frau mit von der Partie war, und vielleicht könnten sie ja Freundinnen werden, und fand sie das alles nicht auch vachement bizarre? Jetzt saß sie ihr gegenüber am Fenster, las ein Buch oder sah zu, wie die eintönige Landschaft vorbeizog. Einmal sagte sie: »Ce pays de merde «, blickte sich dann mit hochrotem Kopf um, eine Hand vor dem Mund, als wäre ihr die Bemerkung unabsichtlich rausgerutscht. Emile lachte. »Ich hab schon Scheiße gesehen, gegen die das hier ein echter Rosengarten ist«, sagte er.
Die Fahrt ging weiter, die graugrünen Flächen der Midlands wichen Industriegebieten und dann einer trostlosen bergigen Moorlandschaft. Ein England, das sie nicht kannte. Passagiere stiegen ein
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