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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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aber in der Mehrzahl Männer in Uniform mit diversen Regimentsabzeichen. »Ein Transporter bringt uns weiter zum See«, erklärte Janet ihnen, »aber wir bleiben noch ein Weilchen hier drin. Wir wollen doch nicht, dass die Soldaten in diesem Teil der Welt Ladys zu Gesicht bekommen.«
    Und dann entdeckte Marian eine vertraute Gestalt. Als sie durchs Fenster zuschaute, wie der zusammengewürfelte Haufen von Passagieren aus dem Zug stieg, ging er direkt unter ihrem Fenster vorbei. Es konnte kein Zweifel bestehen. Er war höchstens einen halben Meter entfernt, gleich hinter der Scheibe – der junge Franzose namens Benoît.
    Rufe ertönten. Army-Laster ließen ihre Motoren aufheulen und fuhren davon. Janet führte ihre kleine Schar zur Waggontür und hinaus auf den Bahnsteig. Marian fröstelte in dem kalten Wind und fragte sich, wo der Franzose hin war, wer er war und was er hier machte. Ihr fiel nur eine einzige Erklärung ein: Er hatte nicht geprahlt, sondern die Wahrheit gesagt. Er ging wirklich zurück nach Frankreich.
    Sie stiegen in einen Lastwagen, der sie ans Seeufer brachte, wo ein Motorboot wartete. Sie gingen an Bord und setzten sich auf schmale Sitze, ihre Koffer fest umklammert. Der Motor röhrte, die Besatzung löste die Leinen, und das Boot steuerte hinaus aufs Wasser. Ein erkennbares Ziel war nicht in Sicht – sie fuhren einfach über den einsamen See zwischen den leeren Hügeln, die das Ufer säumten. Sie dachte an den See von Annecy mit seinem dramatischen Alpenpanorama. Würde es irgendwann in ferner Zukunft dort auch so aussehen wie hier, wenn die Alpen so weit erodiert waren, dass sie diesen niedrigen, müden Hügeln glichen, und von der Menschheit nur noch ein kümmerlicher Rest Überlebender übrig war? Das Boot tuckerte schier endlos lange dahin, das Wasser schwappte mattgrau gegen die Seiten. Dann und wann wurde ein wenig gesprochen, mal auf Französisch, mal auf Englisch. Yvette und Marian drückten sich aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen. »Das hier ist die Hölle«, flüsterte Yvette. »Die Hölle ist nicht heiß, sie ist kalt. Und kahl und öde. Das hier ist die Hölle.«
    Schließlich legte das Boot an einem verlassenen Steg am Südufer des Sees an. Es waren zwei oder drei Hütten zu sehen, und auf einem großen Schild stand in roten Lettern: MILITÄRISCHES SPERRGEBIET. KEIN ZUTRITT. Dahinter durchschnitt ein schmales Tal die Hügel. Sie kletterten auf den Steg und schauten sich um wie Menschen, die vor irgendeiner namenlosen Katastrophe geflohen waren und sich nun fragten, ob sie tatsächlich entkommen waren. Mückenschwärme fielen über sie her. »Wir haben leider noch einen kleinen Fußmarsch vor uns«, sagte Janet. »Aber immerhin regnet es nicht.«
    Sie schleppten ihre Koffer einen Pfad entlang, der dem Lauf eines Flüsschens folgte. Übers Tal verstreut standen ein paar Hütten und Cottages, die Überbleibsel einer Bauernsiedlung, die längst verlassen worden war. Es war unmöglich, sich einen Ort vorzustellen, der Frankreich ferner war als dieser.
    »Wo bringen die uns hin?«, fragte Yvette.
    »In die Pampa.«
    Yvette sah sie verwundert an. »Wohin?«
    »Das sagt man so. Das heißt so viel wie en pleine cambrousse .«
    Der Pfad wand sich um eine Biegung am Hang, und ihr Ziel kam in Sicht, inmitten von Tannen und mit Efeu bewachsen, wie eine Vorstadtvilla. Sie blieben stehen. Vor dem Haus lag ein weitläufiger Rasen, der das unwirtliche Flair aber keineswegs abmilderte, und dahinter wuchs ein steiler Hang hoch in die Wolken. Überall waren Wind und Wasser zu hören, es herrschte eine trostlose Stimmung. Wildnis, dachte Marian: ein seltsames, ungezähmtes Wort, in dem Verwirrung mitschwang. Wer hatte hier mal gelebt, und was hatten sie mit ihrem Leben angefangen? Es war unvorstellbar.
    »Willkommen in der Meoble Lodge«, begrüßte ein junger Offizier sie, als sie durch den Haupteingang ins Foyer wankten. Mit seinem schottischen Akzent klang es wie »Mabel« Lodge, wie der Name einer Pension, die sich eine unverheiratete Tante als Ferienquartier aussucht, ein Haus mit durchgesessenen, verschlissenen Sesseln und Sofas und veralteten Ausgaben von Zeitschriften wie The Tatler und The Lady . »Ich bin Lieutenant Redmond und werde Ihren Lehrgang betreuen. Wir hoffen, Sie fühlen sich wohl bei uns.«
    III
    Die Lodge war eine eigentümliche Mischung aus Militärlager und Männerzirkel, eine Welt, in der viel geschnauft und gekeucht, Pfeife geraucht und Whisky getrunken wurde und in

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