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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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hoch, faltet ihn dann wieder zusammen und legt ihn zurück. »Ich tue nur meine Pflicht, Madame. Danke für Ihr Verständnis.«
    »Ich hoffe, Sie sind jetzt glücklich«, sagt sie und bedauert die Bemerkung sogleich als einen Satz zu viel, einen Schritt zu weit. Doch er reagiert gar nicht, sondern wendet sich bloß dem Nächsten in der Schlange zu und lässt Anne-Marie Laroche weiter zum Zug gehen, wo sie vielleicht mit etwas Glück einen Sitzplatz findet oder mit noch mehr Glück einen angeboten bekommt, aber wegen der Verzögerung am poste de contrôle aller Wahrscheinlichkeit nach wohl eher die nächsten vier Stunden im Gang unbequem auf ihrem Koffer hocken muss.
    Wo fährt sie hin? Nach Limoges, wo drei alliierte Piloten warten, die auf der Fluchtroute über die Pyrenäen nach Spanien geschleust werden sollen; nach Auch, um eine Nachricht vom Patron an seinen Stellvertreter in dem Ort zu überbringen; nach Condom, um sich um ein Problem mit einem der französischen Widerständler zu kümmern, der wegen Schwarzhandels verhaftet worden ist; nach Toulouse, um einen parachutage zu organisieren, ihren ersten parachutage , der für die nächste Vollmondphase geplant ist. Die Möglichkeiten sind endlos. All die Aufgaben einer komplexen, unzusammenhängenden Geheimorganisation, die kaum mehr als die Überzeugung eint, dass die Rettung in Form einer alliierten Invasion kommen wird, wonach die zerbrechliche Einheit des Widerstands sich auflösen kann und alle wieder als Republikaner oder Royalisten oder Kommunisten oder Sozialisten weiterleben werden.
    Ab und zu sieht sie Benoît, wenn sie in seinem Sektor zu tun hat. Sie begegnen sich mit der seltsamen Vertrautheit, die aufgrund von Dingen entstanden ist, die sie nicht leugnen kann, weil sie nun mal geschehen sind, und was geschehen ist, ist unabänderlich und nicht ungeschehen zu machen. Die Tatsache ist da, in der Vergangenheit. Und sie wirft ihre Schatten nach vorn, sogar in die Welt von Anne-Marie Laroche. »Mon p’tit chat«, sagt er, »ich vermisse dich.« Mon petit chat , mein Kätzchen. Gewisse Dinge an ihm vermisst sie auch, aber nicht das. Was ihr fehlt, sind sein Lachen und seine Kameradschaft, das Gefühl, dass sie bei ihm irgendwie sicher ist. Was für ein absurder Gedanke. Sobald sich jemand in dieser Schattenwelt sicher fühlt, geht er die größten Risiken ein.
    Clément?
    Clément ist da, wie ein Schatten, der sie im Dunkeln verfolgt, immer da, seine Schritte im Einklang mit ihren, seine Gestalt undeutlich und schwer fassbar. Bei Tageslicht ist er nirgends zu sehen. Aber sie weiß, dass sie irgendwann bald nach Paris gerufen wird.

ZWEITER VOLLMOND
    I
    Die Männer rauchen Gauloises und trinken piquette , eine dünne saure Plörre, die sich Wein schimpft. Eine Petroleumlampe vermischt ihren öligen Geruch mit dem dunklen Aroma des Tabakqualms. Alice kennt die Männer vom Sehen, aber nicht mit Namen. Es sind Gaillards Männer, derbe und vorsichtige Bauern, die das Land kennen und es bearbeitet haben und die von dem Misstrauen durchdrungen sind, dass alles, was vielversprechend scheint, doch ein böses Ende nimmt.
    Zwischen ihnen auf dem Küchentisch liegt eine Karte, Alice’ Karte, die Karte, die sie markiert hat. Gaillard legt einen Finger auf die Stelle, wo eine kleine Ansammlung von Häusern eingezeichnet ist, mit einem Weg, der von dort in die Felder führt. »Wir treffen Marcels Gruppe am Haus der Bonnards. Wir werden einen Karren brauchen, um das Zeug zur nächsten Straße zu schaffen. Das ist nicht ideal, aber es wird keine Aufmerksamkeit erregen.«
    »Wieso ausgerechnet da?«, fragt einer von ihnen. »Das ist kilometerweit weg.«
    »Es ist sicher. Alice sagt, es ist sicher. Die milice ist da noch nie gesichtet worden, und auch keine Chleuhs . Und oberhalb von Dompierre ist der Stausee. Daran kann sich der Pilot gut orientieren.«
    »Wasser ist die beste Orientierungshilfe«, erklärt sie, um sie zu überzeugen. »Ein See oder ein großer Fluss. Wasser glänzt im Mondlicht. Und die Umrisse sind bekannt. Der Pilot kennt sie von Karten und Fotos.« Es ist ihr erster parachutage , und es ist nicht zu unterschätzen, wie viel von einem erfolgreichen Abwurf abhängt. Ein parachutage ist das Zeichen der Anerkennung, die Hilfszusage, die Offenbarung einer Gottheit, die weit weg existiert, hinter dem Horizont, aber der das Schicksal ihrer Kinder in der umnachteten Welt Frankreichs vielleicht dennoch am Herzen liegt.
    Die Männer knurren skeptisch, aber sie

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