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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Mann sie wie ein Dienstmädchen. Die Versuchung, es ihm zu sagen, ist da, nahezu unwiderstehlich. Die Versuchung, ihm zu sagen, dass sie zwar eine Frau ist, aber für etwas Besonderes ausgewählt wurde, etwas, das wichtiger ist, als er es sich je vorstellen könnte. »Tut mir leid. Ich wollte bloß …«
    »Ist mir egal, was Sie bloß wollten. Sie sind hier, um eine Aufgabe zu erledigen, und ich bin hier, um Ihnen zu sagen, was Sie zu tun haben, ist das klar? Ich habe hier schon fast so viele Monate überlebt, wie Sie Stunden hier sind, merken Sie sich das. Herrgott, wie alt sind Sie? Sie sehen aus wie achtzehn und benehmen sich wie sechzehn. Wer in Gottes Namen hat Sie rekrutiert und warum?«
    Tränen steigen ihr ungebeten in die Augen. Nicht losheulen, denkt sie. Wenn du zu irgendwas taugst, dann fang jetzt bloß nicht an zu flennen. »Vielleicht«, sagt sie leise, »vielleicht haben sie mich rekrutiert, weil ich Französin bin. Und eine Frau.«
    Das gibt ihm anscheinend zu denken, zumindest einen Moment lang. Dann lacht er, und dann schüttelt er den Kopf und steckt sich wieder eine Zigarette an. »Ich bin müde. Tut mir leid, aber ich bin müde. Ich hab einen Mann angefordert, mehr nicht. Jemanden, der in der Lage sein könnte, mich zu entlasten. Und was schicken die mir? Eine junge Frau. Ist nicht Ihr Fehler.«
    »Ich sehe das auch nicht als Fehler. Es ist ein Vorteil. Männer sind verdächtig, oder? Entweder sie haben sich der Zwangsarbeit entzogen, oder sie sind in den Schwarzmarkt verwickelt oder so. Auf jeden Fall sind sie verdächtig. Aber eine junge Frau kann mit fast allem durchkommen. Und ich habe erfolgreich die Ausbildung absolviert – den Hindernisparcours, die Waffenausbildung, den unbewaffneten Kampf, einfach alles. Ich bin nicht geschont worden. Ich kann alles, was ein Mann kann.«
    Er betrachtet sie durch Zigarettenrauch. »Und noch ein paar andere Dinge obendrein, da bin ich sicher. Wissen Sie eigentlich, auf was Sie sich da eingelassen haben?«
    »Selbstverständlich weiß ich das. Das macht die Hälfte der Ausbildung aus. Ich bin von Anfang an gewarnt worden.«
    Er lacht. »Wer hat Sie denn rekrutiert? Der Freund von einem Freund von Papa, ja?«
    »Es hatte nichts mit meinem Vater zu tun. Ich hab aus heiterem Himmel einen Brief bekommen, die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in London. Ich vermute, weil ich Französisch spreche. Ich war zu der Zeit in der WAAF , in der Bentley Priory.«
    »Bentley Priory? Was zum Teufel ist das?«
    »Ein Kloster, in dem das Fighter Command sein Hauptquartier hat.«
    Er lacht wieder dieses rasselnde Zigarettenqualmlachen. »Ist doch typisch, oder? Die Deutschen würden sich ohne mit der Wimper zu zucken in einem Schloss einquartieren. Aber wir suchen uns ein Kloster. Voll mit alten Frauen, kann ich mir vorstellen. So, jetzt packen Sie Ihre Sachen, und ich zeig Ihnen Ihre Unterkunft. Ein abgelegener Bauernhof. Ich hoffe, Sie können Fahrrad fahren. Das werden Sie nämlich müssen.«
    VI
    Plasonne. So heißen das Gehöft und die Umgebung, ein kleines, abgeschiedenes Tal in den Bergen oberhalb von Lussac. Das Bauernhaus schmiegt sich an den Hang, und von der Eingangstür lässt sich das ganze Tal überblicken. Zwischen dem Haus und einer großen, baufälligen Scheune liegt ein matschiger Hof mit pickenden Hühnern, die leise vor sich hin gackern. Ein Hund, der Xavier heißt, aber von allen nur Clebs , Köter, genannt wird, ist an einer langen Kette angebunden und kläfft jeden Fremden an, der sich nähert.
    »Hier sind Sie gut untergebracht«, versicherte der Patron ihr, als er sie herumführte. »Schön abgelegen, aber mit dem Rad ist es nur eine halbe Stunde bis Lussac. Und es sind prima Leute. Die werden uns nicht enttäuschen. Natürlich«, fügte er hinzu, »hab ich ihnen gesagt, Sie wären aus Paris. Auch wenn sie das nicht so ganz glauben, müssen Sie den Schein wahren.«
    Natürlich. Ihr ganzes Leben ist ein einziger Schein. Lügen sind die Währung dessen, was sie tut und was sie ist. Täuschung ist das Kapital, das sie als Schutz gegen Entdeckung aufgehäuft hat. Anne-Marie Laroche, Studentin, geboren am 18 . September 1918 in Genf, Tochter von Auguste Laroche und Émilie Grenier, beide verstorben.
    Die Menschen, die auf dem Hof leben und belogen werden, sind der Bauer und seine Frau, Albert und Sophie, und ihr einfältiger Sohn Ernest. Einfältig, aber nicht dumm. Ernest hat eine gewisse Schläue, die Intelligenz eines Tieres, das sein ganzes

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