Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
besprechen trotzdem die Einzelheiten des Plans – wer die Lampen trägt, wo sie aufgestellt werden, in welche Richtung der Wind weht und wo die Behälter wahrscheinlich landen, wie sie entsorgt werden sollen, sobald sie geleert wurden.
»Hoffen wir, dass diesmal alles klappt«, sagt einer der Männer. Die anderen murmeln zustimmend.
»Fünf Tage, wir müssen fünf Tage einkalkulieren«, ermahnt Alice sie. »Es kann was dazwischenkommen.«
»Irgendwie kommt immer was dazwischen.«
»Wieso kriegen die das nicht richtig hin?«, nörgelt ein anderer. »Wissen die nicht, wie es hier ist?«
Alice beobachtet diese Männer mit einer Mischung aus Unverständnis und Bewunderung. Es kommt ihr absurd vor, ihnen zu sagen, was sie tun sollen. Sie will ihnen helfen; manchmal hat sie ihnen gegenüber fast mütterliche Gefühle. Sie brauchen ihren Trost und ihren Beistand, aber es hat in der Vergangenheit zu viele Aufschübe und zu viele Fehlschläge gegeben. In dem Monat vor ihrer Ankunft kreiste ein Flugzeug eine halbe Stunde über der sorgsam markierten Abwurfzone, während sie mit Taschenlampen den Kennbuchstaben in den Himmel morsten. Vielleicht hat der Pilot es nicht gesehen, oder er war vom Kurs abgekommen und hielt nach einem anderen Empfangskomitee mit einem anderen Code Ausschau. Jedenfalls drehte die Maschine schließlich ab und verschwand in der Nacht. Gaillard hat ihr die traurige Geschichte erzählt. Ein anderes Mal war ein dünner Bodennebel wie ein böser Geist aufgetaucht und verhüllte die Abwurfzone. Und weiter südlich, unweit von Albi, hatte der Pilot die Behälter aus zu großer Höhe abgeworfen, und sie wurden mit dem Wind weggetrieben (vielleicht hatte der Wind das Flugzeug hoch gehalten, vielleicht hatte der Pilot sich nicht getraut, auf die vereinbarten hundertfünfzig Meter runterzugehen), und nur die Hälfte davon wurde je gefunden. Ein Teil der verschwundenen Ausrüstung – Sten Guns, Pistolen – war ein paar Tage später in den Händen der milice gelandet, wie gemunkelt wurde. Diese Abwurfzone kommt somit nicht mehr infrage, weshalb sie sich jetzt auf eine neue geeinigt haben, die Alice ausgesucht hat, nicht weit vom Stausee bei Dompierre, wo Marcel und seine Männer zuständig sind. Marcel ist Kommunist, das glaubt Alice zumindest. Ein Kommunist, der so tut, als wäre er Sozialist. Er hat eine Gruppe unzufriedener junger Leute um sich geschart, Männer, die vor dem Service du travail obligatoire in die Berge geflohen sind. Es sind auch ein paar Spanier dabei, Veteranen des Bürgerkriegs, und einige Deserteure der französischen Armee. Aber so ein kunterbunter Haufen Widerstandskämpfer ist nicht ungewöhnlich. Gaillards Gruppe ist eine Mischung aus Monarchisten und Republikanern, Liberalen und Sozialisten und selbst ernannten Gaullisten, eine fast schon komische Verkörperung der politischen Probleme im Land.
»Es wird klappen«, beruhigt sie die Männer. Sie muss an die Crew denken, die sie und Benoît vor einem Monat abgesetzt hat, an ihre Nonchalance, ihre sorglose Zuversicht. »Diesmal wird es klappen.«
»Hoffen wir’s«, sagt Gaillard.
Sie gehen hinaus in die Abenddämmerung und steigen in Gaillards Citroën-Lieferwagen, wieder ein gazogène , dessen Holzkohlefeuer bereits vor Hitze wummert. Rauch steigt auf, Dampf steigt auf. Alice setzt sich ins Führerhaus neben den Fahrer, die anderen steigen hinten ein. Es wird gemurrt über den Dreck, über die Kälte, es wird darüber gewitzelt, dass Alice immer den besten Platz kriegt, solange Gaillard ihr eine Hand aufs Bein legen darf. Um genau das zu verhindern, sitzt sie dicht an der Tür, möglichst weit weg von ihm, während er ihr durch Zigarettenqualm Seitenblicke zuwirft und lächelt. Lüstern, denkt sie, und schließt ihre canadienne bis zum Hals. Da ihm der Blick in den Ausschnitt ihrer Bluse verwehrt ist, gleiten seine Augen zu ihren Knien. »Du wirst frieren.«
»Ich hab dicke Strümpfe. Und eine Decke.«
»Trotzdem. Frauenbeine.« Er spricht das Wort nachdenklich aus, leckt sich die Lippen – les jambes . »Ich rubbel sie dir, wenn du möchtest.«
Früher einmal hätte sie sich prüde und verletzlich gefühlt, unfähig, mit seinen Anzüglichkeiten umzugehen. Aber jetzt nicht. »Ach, halt doch die Klappe.«
Er lacht. Der Wagen quält sich mit heulendem Motor durch die Dunkelheit eine Steigung hoch, und die schwachen Scheinwerfer lassen das Straßenbankett lediglich erahnen, die trockenen Hecken, den rauen Asphalt, der schon
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