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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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in ein Stück Watte. Aus einer Innentasche ihres Koffers holt sie ein Kondom hervor. Sie schiebt die Kristalle in das Kondom, wirft ihr Badetuch beiseite und setzt sich aufs Bett, Knie hochgezogen, Beine gespreizt. Sie blickt an sich hinunter. Was haben die Nonnen immer gesagt? Du sollst deinen Körper nicht allzu genau kennen. Er ist der Tempel des Heiligen Geistes, und du kannst nicht mit ihm umgehen, wie es dir gefällt. Vielmehr musst du Gott mit ihm ehren.
    Sie bewegt die Finger auf und ab, bis sie feucht ist, dann nimmt sie das Päckchen mit den Kristallen und drückt es sich behutsam in die Vagina. Als sie aufsteht, fühlt es sich unbehaglich an, wie etwas, das sie entehrt, etwas Hässliches, das gegen ihren Gebärmutterhals stößt. Vielleicht wird es sie wund scheuern, aber es geht nicht anders.
    Dann zieht sie sich an – eine Seidenkreppbluse und dazu ihr schickes Pariser Kostüm – und holt ihre Giftpille aus der Kommode hervor, wo sie sie versteckt hat, seit sie hier ist. Sie wirft einen kurzen Blick darauf, ehe sie die Pille in der Jackentasche verschwinden lässt. Dann nimmt sie ihren Koffer in eine Hand und die Schuhe in die andere, um kein Geräusch zu machen, und öffnet die Tür. Doch als sie aus ihrem Zimmer tritt, steht Gabrielle im Flanellnachthemd oben an der Treppe und wartet.
    »Du wolltest dich aus dem Haus schleichen!«
    »Ich wollte euch nicht wecken.«
    »Ich lass dich doch nicht gehen, ohne Auf Wiedersehen zu sagen.« Gabrielle mustert sie von oben bis unten. »Du bist wunderhübsch.«
    »Ich bin nervös. Ich hoffe, man merkt es mir nicht an.«
    »Natürlich nicht. Du siehst aus wie die Ruhe selbst.« Sie schlingt die Arme um Alice und drückt sie fest. »Sei vorsichtig«, flüstert sie an ihrer Wange. »Versprich mir das. Ich werde dir nicht Hals- und Beinbruch wünschen.«
    »Merde alors«, sagt Alice, und Gabrielle kichert. »Merde«, wiederholt sie, und dann geht Alice die Treppe hinunter, Koffer und Schuhe in den Händen, bleibt kurz in der Diele stehen, um sich linkisch erst den einen, dann den anderen Schuh anzuziehen, öffnet die Haustür und tritt hinaus auf die kalte, dunkle morgendliche Straße. »Merde alors!«
    V
    Sie hebt sich von den Fahrgästen im Bus ab, aber das ist ihr egal. Sie fährt nach Paris. Eine Bäuerin, die zum Markt in Auch will, rückt ein Stück zur Seite, damit sie sitzen kann, als könnte schon der Kontakt mit gewöhnlicher Arbeitskleidung Alice’ feine Garderobe beschmutzen. Der Gendarm, der die Papiere kontrolliert, nickt anerkennend, als er ihr den Ausweis zurückgibt. Der Bus, zum Bersten voll wie immer, fährt schwankend von der Haltestelle am Marktplatz los, vorbei an der Kirche und der mairie , dann über die Brücke und zur Stadt hinaus. Sie ist auf dem Weg nach Paris, lässt das Land zurück, wo die Menschen sich abrackern, genau wie sie in den letzten Wochen hart gearbeitet hat, lässt die Bauern und ihre Familien zurück, die das Salz der Erde sind, aber genau wie Salz nur ein Aroma haben. Paris hat viele Aromen. Es ist ein Ort voller Möglichkeiten.
    In Auch besteigt sie den Regionalzug nach Toulouse, und von Toulouse aus geht es mit dem Nachtzug weiter in Richtung Hauptstadt. Da es in diesen Zeiten weder Schlaf- noch Liegewagen gibt, hat sie die Wahl zwischen nackten Holzbänken und den verblichenen Plüschsitzen in der ersten Klasse. Sie fährt erster Klasse. Geld spielt keine Rolle. Sie ist raffinée und wohlhabend und schwimmt in Geld. In ihrem Portemonnaie stecken tausend Francs; in ihrer Vagina stecken zwei Kristalldetektoren.
    VI
    Die Reise ist eine für Kriegszeiten typische Zugfahrt, wie sie sie aus Großbritannien kennt, voller Unterbrechungen und scheinbar grundlosen Aufenthalten, ein Gefühl, das noch verstärkt wird durch die Größe des Landes, als würde man Raum und Zeit durch eine verzerrende Linse wahrnehmen, etwas, worüber Ned und Clément in einer ihrer verrückten Diskussionen über die Dimensionen des Universums hätten debattieren können. Das Raum-Zeit-Kontinuum oder irgend so ein Unsinn – haben sie nicht mal versucht, ihr das am Beispiel von Leuten im Zug zu erklären? Relative Geschwindigkeiten und Zeitdilatation. Dieses Experiment teilen mit ihr zwei Männer im mittleren Alter, die aussehen wie Beamte, und eine alte Frau, die ausgefallenen Schmuck trägt und die Welt durch wässrige und missbilligende Augen betrachtet. »Mir ist schleierhaft, warum sie keine wagons-lits mehr haben«, klagt sie. »Wozu könnten

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