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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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mehrdeutig wie Worte. Seine Hand, ihre Hand, ihrer beiden Hände glitten nach oben in ihre Shorts, wo sie noch nie jemand je zuvor berührt hatte, außer vielleicht ein Arzt oder ihre Mutter, wo das Haar spross und wo sich, zu ihrer ungeheuren Scham, ihr Fleisch wölbte wie ein frecher und vulgärer Schmollmund. Sie war verlegen und ekstatisch zugleich, fragte sich, was er wohl tun würde und was sie wollte. Keins von beidem war ihr klar. »Ich hab gedacht … keine Ahnung, was ich gedacht habe«, sagt sie. Unversehens ist sie fast in Tränen aufgelöst, trauert um ein fernes Kind, an das sie sich nur vage erinnert und das sie kaum versteht; und um einen Mann, den sie geliebt hat. »Ich hab gedacht, du würdest mich heiraten. Ich hab gedacht, ich würde schwanger. Ich hab gedacht, du wärest das Wunderbarste, was die Schöpfung je hervorgebracht hat, und ich das Abscheulichste. Du hast gesagt – weißt du noch, was du gesagt hast? –, eines Tages, hast du gesagt, eines Tages liebe ich dich richtig.«
    Er beobachtet sie jetzt. In seinem Ausdruck liegt eine seltsame Verletzlichkeit, als wäre etwas abgestreift worden und der jüngere Mann darunter zum Vorschein gekommen. »Ich habe dich angebetet«, sagt er.
    »Du bist zurück nach Paris.«
    »Und du wieder aufs Internat in England.«
    »Du hast mir Briefe geschrieben. Die haben mich am Leben gehalten an dieser grässlichen Schule. Die verdammten Nonnen haben sie gelesen, wusstest du das? Schlimmer als Zensur. Schwester Benedict war die Französischlehrerin, und sie mochte mich nicht, weil ich fehlerfreies Französisch sprach und sie nicht. Sie hatte einen schauderhaften englischen Akzent – wenn du keine vernünftige Aussprache hast, wie in Herrgotts Namen kannst du dann eine Fremdsprache unterrichten? Jedenfalls, ich hab ihnen gesagt, du wärst mein Onkel, und am Anfang haben sie das auch geglaubt.«
    »Du hast aufgehört, mir zu schreiben.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Das ist es ja. Ich hab nicht aufgehört, aber ich dachte, du hättest aufgehört, mir zu schreiben. Weißt du …« Und plötzlich ist sie wieder das junge Mädchen, ein Ausbund an Sehnsucht und Entrüstung, mit brennenden Augen. »Es ist nicht zu fassen, aber sie haben deine Briefe konfisziert. Irgendwann kam ihnen das mit dem Oncle Clément komisch vor, und sie haben deine Briefe einfach konfisziert, ohne mir was zu sagen, und ich dachte, du hättest mich aufgegeben.« Die qualvolle Zeit ist wieder real geworden, das junge Mädchen, das im Internat gefangen ist, ohne eine Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. »Ich war verzweifelt, Clément. Ich hab dir geschrieben, wollte wissen, was los ist, hab dich angebettelt, mir zu schreiben, dich angefleht. Ich vermute, die Nonnen haben die Briefe einfach nicht abgeschickt.«
    »Wie überaus englisch.«
    »Wie überaus katholisch. Sie haben bei meinen Eltern nachgefragt, ob du wirklich mein Onkel bist. Vielleicht wegen irgendwas, was ich geschrieben hatte. Ob die meine Briefe an dich geöffnet haben? Möglich. Ich hab dich angefleht, mir zu schreiben, und mich selbst dafür verachtet. Ich hab Dinge geschrieben, die ich mir besser verkniffen hätte. Vielleicht haben sie das ja auch gelesen …« Sie blickt ihn an, Tränen kämpfen gegen Lachen. Er nimmt ihre Hand, und sie spürt wieder dieses Etwas, das sich in ihr regt, ihr den Halt nimmt, als hätte sich der Boden unter ihren Füßen bewegt. »Aber das war schon nach dem Einmarsch, und auf einmal warst du ohnehin wie abgeschnitten, ohne Hoffnung auf Kontakt. Das ist ewig her, und ich sitze hier und reg mich auf, als wäre es gestern passiert.« Sie entzieht ihm ihre Hand, ganz vorsichtig, als könnte sie zerbrechen. »Und jetzt bist du verheiratet und Vater. Wie ist Augustine denn so? Erzähl mal.«
    »Es war ein Schock für dich, nicht? Als ich gesagt habe, dass ich verheiratet bin.«
    »Es war eine Überraschung.«
    »Weil du denkst, ich bin kein Typ, der heiratet?«
    »Weil das passieren konnte, ohne dass ich es wusste. Ohne dass irgendeiner von uns es wusste.«
    »In diesen Zeiten erfahren die Leute nicht mehr viel voneinander.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Stimmt. Augustine ist hübsch und die perfekte Ehefrau und zerbricht sich nicht den Kopf über so langweilige Sachen wie Wissenschaft oder Wissenschaftler. Liebt ihr Kind über alles, wie wohl jede Mutter.« Er lächelt. Sie kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Vielleicht konnte sie das nie. »Unsere beiden

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