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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Familien befürworten unsere Ehe. Was eigentlich recht überraschend ist.«
    »Wieso überraschend?«
    »Weil sie Jüdin ist.«
    Das Wort juive detoniert im Raum, sprengt ihre Gedanken in alle Richtungen, wie Trümmer. »Hat sie Paris deshalb verlassen?«
    Er nickt. »Sie ist kurz nach der Vél’-d’Hiv-Razzia weg. Du hast doch davon gehört, oder? Augustine war natürlich nicht davon betroffen. Da war sie schon mit mir verheiratet, und außerdem haben sie nur ausländische Juden verhaftet. Aber wir dachten, es ist besser, wenn sie mit dem Baby die besetzte Zone verlässt, und da lag es nahe, nach Annecy zu gehen.«
    »Und ist sie dort in Sicherheit?«
    Er zuckt die Achseln. »Jetzt, wo die Italiener weg sind, hat sich einiges geändert, aber im Augenblick muss sie nichts befürchten.«
    »Das tut mir leid. Es ist bestimmt schrecklich, so getrennt zu sein, oder?«
    Er denkt über ihre Frage nach, umfasst sein Glas am Stiel und lässt den Wein kreisen, sodass er die Farbe vor der Kerzenflamme sehen kann. Dann antwortet er bedächtig, als hätte er seine Worte genau abgewogen. »Unsere Beziehung ist nicht die glücklichste. Ich mag meine Frau sehr, natürlich. Aber wie in so vielen Dingen ist die ganze Geschichte kompliziert und stellt sich je nach Blickwinkel anders dar.«
    »Wie die Teilchen, von denen du früher gesprochen hast.«
    »Das weißt du noch, ja? Auch wenn du den Impuls eines Teilchens kennst, kennst du doch nicht seine Position.«
    »Und was ist deine Position?«
    Er verzieht das Gesicht. »Oder mein Impuls? Was von beidem?«
    Sie sieht ihn an, spürt die Gefahr, die in gemeinsamem Lachen liegt. Lachen war das, was sie vor fünf Jahren zueinander hinzog, über die Kluft von Alter und Bildung hinweg. »Dein Impuls war immer deine Forschung.«
    »Auf Kosten meiner Ehe?«
    »Das kannst nur du beurteilen.«
    Er zuckt die Achseln. »Die Arbeit geht weiter. Wobei uns die Deutschen natürlich über die Schultern gucken. Am Anfang haben sie uns Wolfgang Gentner als Aufpasser vor die Nase gesetzt. Er hat vor dem Krieg mit Fred am Radium-Institut gearbeitet, er ist also eigentlich einer von uns. Dank ihm haben wir das Zyklotron ans Laufen gekriegt. Hab ich dir schon mal vom Zyklotron erzählt?«
    »Ich glaube ja.«
    »Freds ganzer Stolz. Die Deutschen wollten es nach Heidelberg bringen, aber Gentner hat darauf bestanden, dass es hier in Paris bleibt. Gentner wurde zurück nach Deutschland versetzt, und jetzt haben wir Riezler. Auch ein guter Mann.« Er zuckt wieder die Achseln, dieses bescheuerte typisch französische Achselzucken. »Sie beschützen uns, Marian. Die Deutschen selbst beschützen uns. Sie verehren Fred, und er wickelt sie um den Finger, und wir alle dürfen mit unserer Arbeit weitermachen.«
    »Das klingt nach Kollaboration.«
    »Es ist Anpassung. Das machen alle Franzosen, auf die eine oder andere Art. Den Mund halten. Wegschauen.«
    »Ist das dein Beitrag zur Befreiung Frankreichs? Undurchsichtige Forschungen und ein bisschen französischer Charme? Was willst du Rachel antworten, wenn sie irgendwann fragt: Was hast du im Krieg gemacht, Papa? – Ich hab den Feind mit meinem Charme dazu gebracht, mich in Ruhe zu lassen?«
    »Ich hab dich früher nie sarkastisch erlebt. Das passt nicht zu dir.«
    »Heutzutage passt so allerhand nicht zu mir, aber ich weiß wenigstens, auf welcher Seite ich stehe. Du hast dich mit dem Teufel eingelassen, Clément. Die anderen in deinem Labor sind nach England geflohen, nicht?«
    Er runzelt die Stirn. »Woher weißt du das?«
    Sie antwortet, ohne nachzudenken: »Ned hat es mir erzählt.«
    Clément hob die Augenbrauen. »Aha, Ned hat dir das erzählt. Der gute alte Ned. Ich wette, er ist ganz zufrieden mit sich, schön sicher in seinem Labor in England, oder? Wann hat er es dir denn erzählt? Bevor du von England in die Schweiz gereist bist?« Er betrachtet sie, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als würde er versuchen, sie zu durchschauen. »Was machst du wirklich hier, Marian?«
    »Was ich hier mache? Hab ich doch gesagt, eine Freundin besuchen.«
    »Ah, die geheimnisvolle Freundin. Aber wessen Freundin ist sie? Ist sie Marian Sutros Freundin? Oder die von Anne-Marie Laroche?«
    Jähe Stille breitet sich in dem kühlen Esszimmer aus. Ein altes Porträt, von einem vermeintlichen Vorfahren mit Perücke und Wams, blickt mit einer Miene auf sie herab, die vermuten lässt, dass er Begriffe wie nom de plume und nom de guerre verstanden hätte. Vielleicht war er so der

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