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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Terrorherrschaft nach der Revolution entkommen.
    »Du hast meine Handtasche durchsucht.«
    Er zuckt erneut die Achseln, als wäre es das Normalste von der Welt, fremde Handtaschen zu durchsuchen. Vielleicht ist es das ja auch in dieser Stadt der Angst und des Misstrauens. »Marie wollte wissen, ob du eine Lebensmittelkarte hast, also hab ich nachgesehen. Du hast geschlafen, und ich wollte dich nicht wecken. Ich hab ihr gesagt, du hättest keine, was in gewisser Weise auch stimmt, denn die einzige Karte, die ich gefunden habe, gehörte einer gewissen Anne-Marie Laroche. Derselben Anne-Marie Laroche, auf die der Ausweis mit deinem Foto ausgestellt ist.«
    Wie kontrollierst du deine Reaktion? Wie zeigst du Überraschung, verbunden mit leichter Empörung, damit deine Reaktion überzeugend wirkt? Dafür gibt es kein fertiges Rezept, nichts, was die Ausbilder dir beibringen konnten, weder in der A-Schule mit ihrem Hindernisparcours und den Nahkampftechniken noch in der B-Schule mit ihren raffinierten Täuschungsmethoden und falschen Verhören. Keine dieser Lektionen kann dir helfen, wenn du so, wie sie jetzt, von einem Freund bloßgestellt wirst, der dein Liebhaber hätte werden können, und du überrumpelt wurdest und keine Ahnung hast, wie er sich fühlt oder wo seine Loyalitäten liegen. Sie versucht, Entrüstung mit Selbstgerechtigkeit zu paaren. Es ist ein schwieriger Trick, aber einer, den sie noch aus dem Internat in Erinnerung hat, wenn sie dabei ertappt wurde, gegen eine der undurchsichtigen Regeln verstoßen zu haben, die im Kloster herrschten. »Das ist scheußlich! Einfach jemandes Sachen zu durchsuchen wie ein Polizist. Ich wollte es dir sagen, wenn sich der richtige Moment ergeben hätte. Eine Freundin hat mir den Ausweis verschafft. Ich hatte einen auf den Namen Marian Sutro, als ich aus der Schweiz kam, aber eine Freundin hat mir einen anderen besorgt, um es mir leichter zu machen. Weil der Name nämlich jüdisch klingen könnte, wenn du es genau wissen willst. Zahllose Leute machen so was aus Gott weiß was für Gründen. Das halbe Land ist inzwischen illegal, das weißt du genauso gut wie ich.«
    Clément lässt sich die Erklärung durch den Kopf gehen, bleibt aber skeptisch. »Du bist aus London gekommen, nicht, Äffchen?«, sagt er. »Wie bist du hergekommen, frage ich mich? Mit dem Flugzeug, vermutlich. Bist du irgendwo auf einem Feld gelandet, oder ist mein tapferes Äffchen mit dem Fallschirm abgesprungen?« Er schmunzelt, ein Erwachsener, der nett zu einem Kind ist. »Die tollkühne junge Frau am Fliegenden Trapez.«
    »Sei nicht albern. Und nenn mich nicht Äffchen.«
    »Na ja, Marian kann ich dich ja wohl schlecht nennen, oder? Wie wär’s mit Anne-Marie?«
    Vorsichtig – wenigstens ist ihre Hand ruhig – nimmt sie ihr Weinglas und trinkt einen Schluck. Kann sie ihm trauen? Trau niemandem, haben sie ihr in Beaulieu eingeschärft, nicht mal deinem besten Freund. Aber er ist Clément, verdammt noch mal – Clément, den sie mit der ganzen Leidenschaft eines jungen Mädchens geliebt hat; Clément, auf dessen Briefe sie atemlos gewartet hat; Clément, der erste Mann, für den sie das seltsame Gefühl empfunden hat, das einer Persönlichkeit den Halt nehmen kann, wie ein Fluss das Fundament eines Hauses unterspült oder ein Erdbeben es zum Einsturz bringt: sexuelles Verlangen.
    »Ja«, sagt sie, als würde sie etwas Beschämendes gestehen. »Ich bin aus London gekommen.«
    Jetzt ist sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ohne Schutz, ohne eine Leibwache aus Lügen. Nackt und hilflos, während er sie genau beobachtet, wie ein Vernehmer, der seine Sache versteht, der eher zum Geheimnisverrat verleitet, als mit Gewalt ein Geständnis zu erpressen. Sie ruft sich sämtliche Warnungen und die Verhöre in Erinnerung, die sie in Beaulieu durchspielten, wie unterschiedlich sich Vernehmer verhalten können, wie du das blendende Licht erträgst und das Gebrüll und das Untertauchen des Kopfes in Wasser, bis du in Todesnot nach Luft schnappst. Aber auch die andere Methode, die stille, hinterhältige, mit der sie dich in eine Welt aus Nachgiebigkeit und Mitgefühl locken, bis du bereit bist, dem Vernehmer, den du schließlich fast liebst, so munkelt man, vertrauliche Dinge und Geheimnisse zu verraten. Aber sie haben ihr nicht beigebracht, wie sie mit dieser Situation umgehen soll.
    »Also, warum bist du zu mir gekommen? Doch bestimmt nicht um der alten Zeiten willen.«
    Es ist genau wie das Spiel, das sie

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