Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
immer spielten, Blindschach. Kriegsspiel . Bloß ist jetzt keine Barriere mehr zwischen den beiden Spielern, und er kann ihr Brett mit sämtlichen Figuren sehen. »Sie brauchen dich in England, Clément.«
»Wer?«
»Leute, die wichtig sind. Ned natürlich. Aber noch wichtigere, Professor Chadwick, Dr. Kowarski …«
»Lew?«
»Er sagt, die Zukunft der französischen Kriegsbemühungen hängt davon ab.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Kowarski selbst.«
»Du bist ihm begegnet?«
»In Cambridge. Von Halban wurde nach Kanada geschickt, und Kowarski ist ganz allein in Cambridge. Und er braucht dich für sein Team. Sonst …«
»Sonst was?«
»Sind die Amerikaner die einzigen Akteure im Spiel. Das hat er mir gesagt.«
Er schüttelt den Kopf, ob verneinend oder ungläubig, ist nicht klar, als hätte er im Laufe eines Experiments eine verblüffende Entdeckung gemacht, die allem widerspricht, womit er gerechnet hat. Die Spaltung eines Atoms vielleicht. »Und welche Rolle spielst du dabei, Marian? Bist du der Lockvogel?«
»Was um alles in der Welt meinst du damit? Ich bin bloß der Bote.«
»Ein besonders attraktiver.«
»Willst du damit andeuten …«
»Was wissen diese Leute, wer immer sie sind, eigentlich über uns, Marian? Ich meine uns zwei.«
Sie wird rot, denkt an Fawley und den onkelhaften Peters, fragt sich, wie viel genau sie wussten. »Sie wissen, dass wir Freunde waren.«
»Das nenne ich eine bewusste Verwendung der Vergangenheitsform.«
»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen, Clément. Vier Jahre. Es hat sich vieles verändert. Verdammt noch mal, du bist verheiratet. Reicht das nicht?«
»Es ist nicht wenig, zugegeben. Aber wenn du weiter geschrieben hättest, wenn dieser verdammte Krieg nicht ausgebrochen wäre …«
Sie schüttelt den Kopf, als wollte sie sich seine Worte aus den Ohren schütteln. »Clément, du bist nicht mehr nüchtern, ich bin nicht mehr nüchtern. Wir sollten nichts sagen, was wir morgen früh bereuen.«
»Findest du? Vielleicht sollten wir gerade jetzt die Dinge sagen, die wir später bereuen. Vielleicht können wir nur so ehrlich zueinander sein. Ich mach den Anfang. Vor sechs Jahren habe ich mich in die kleine Schwester meines Freundes verliebt. Sie war viel zu jung für mich, aber das hat nichts an der Tatsache geändert. Sie schien das Gleiche für mich zu empfinden, einmal waren wir sogar ganz kurz davor, ein Paar zu werden. Und jetzt taucht sie plötzlich bei mir auf, herangereift zu einer ziemlich beeindruckenden jungen Frau, und weißt du was?«
»Ich will es nicht hören.«
»Ich stelle fest, dass wir noch immer über dieselben Dinge lachen.«
»Ich hab dich gewarnt. Wir sollten nichts sagen, was wir morgen früh bereuen.«
»Aber woher wollen wir wissen, ob wir etwas bereuen, wenn wir es nicht sagen?« Er verzieht das Gesicht. »Das hört sich an wie ein ziemlich abstruser Aspekt der Physik. Schrödingers Katze, weder tot noch lebendig, bis …«
»… man den Kasten öffnet.«
»Du weißt es noch.«
»Natürlich weiß ich das noch. Aber deshalb bin ich nicht hier.« Und als wollte sie beweisen, dass dies der Wahrheit entspricht, öffnet sie ihre Handtasche, holt den Schlüsselbund hervor, löst den Lapreche-Schlüssel davon und reicht ihn Clément.
Er betrachtet ihn neugierig. »Der Schlüssel zu deinem Herzen?«
»Der Schlüssel, der mich hergeführt hat. Darin ist ein Brief von Professor Chadwick persönlich. Mir wurde gesagt, das macht ihn sehr wichtig.« Sie erläutert den Trick, wie er das winzige Fach öffnen kann, in dem sich der Mikropunkt befindet. Es klingt wie ein Gesellschaftsspiel. »Du brauchst ein Mikroskop, um den Brief zu lesen. Ich vermute, du kommst leicht an eins ran.«
Er hält den Schlüssel, genau wie sie ihn gehalten hatte, zwischen Daumen und Zeigefinger, als wäre er etwas Zartes und Kostbares. »Wie einfallsreich. Das passt zu dem raffinierten Verstand der Angelsachsen. Ich werde ihn mit Interesse lesen.« Dann lacht er unvermittelt und schüttelt ungläubig den Kopf. »Erinnerst du dich an das Spiel, das wir mit Ned immer gespielt haben? Wir haben es die Wellenfunktion kollabieren lassen genannt.«
»Ich hab nie kapiert, was ihr damit gemeint habt.«
»Wir auch nicht.« Er hält den Schlüssel hoch, sieht sie mit diesem halb belustigten, halb verwunderten Ausdruck an und sagt: »Ich frage mich, wer jetzt wohl das Schweinchen in der Mitte ist?«
Darauf gibt es eigentlich keine Antwort. Es ist ungewiss, genau wie
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