Die Frau im Fahrstuhl
gewesen. Dass Hillevi nicht zur Hochzeit gekommen war, hatte Evalis traurig gestimmt, aber ihre Schwester hatte sich nicht frei nehmen können.
Wenn Evalis ihn richtig verstanden hatte, so hatte Lars bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren bei seiner Mutter gewohnt. Kurz darauf hatte er geheiratet und das Haus gekauft. Die Ehe war kurz und kinderlos gewesen. Nach der Scheidung hatte er das große Haus in einem von Göteborgs attraktivsten Vororten behalten. Seine Exfrau war nach Stockholm gezogen. Er sprach nie von ihr. In letzter Zeit war ihr aufgefallen, dass er nie von irgendwelchen Verwandten oder Freunden sprach. An ihren zeigte er ebenfalls keinerlei Interesse. Am Anfang ihrer Bekanntschaft hatte sie erwähnt, dass ihre Eltern viele Jahre im Ausland gelebt und als Missionare gearbeitet hätten. Er war ihr ins Wort gefallen und hatte gesagt: »Wie kann man seine Zeit nur an eine Menge blöder Eingeborener verschwenden!« Das hatte sie sehr verletzt. Gleichzeitig hatte sie eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, ihm von ihrer Familie zu erzählen.
Der charmante Mann mit dem netten Lächeln und den schönen blauen Augen hatte sofort nach der Hochzeit begonnen, sein wahres Ich an den Tag zu legen. Er verlangte, dass das ganze Haus blitzsauber zu sein hatte, wenn er am Abend nach Hause kam. Das kleinste Staubkörnchen führte zu einem Wutausbruch. Noch schlimmer war, wenn Evalis Möbel um- oder eigene Sachen aufstellte. Alles sollte aussehen wie immer, wenn er nach Feierabend nach Hause kam.
Er hatte sehr regelmäßige Gewohnheiten. Als Erstes goss er sich dann in der Küche ein großes Glas Whisky ein. Er kaufte immer schottischen von der Insel Jura, der nach Rauch und Teer schmeckte. Lars fand, man könnte in ihm auch den salzigen Meerwind schmecken, mit dem die Gerste getrocknet wurde. Sie fand den Whisky abscheulich.
Er goss den Whisky in einen Messbecher. Genau sechzehn Zentiliter waren sein tägliches Quantum. Die Hälfte davon trank er, während er sie beim Kochen überwachte. Zum Essen trank er immer eine Flasche Wein. Nicht mehr und nicht weniger, aber ausnahmslos jeden Tag. Abwechselnd trank er Rot- und Weißwein und richtete sich dabei danach, was auf den Tisch kam. Er kaufte billige Weine und trank sie wie Wasser. Er spülte das Essen ganz einfach mit Wein hinunter. Nach dem Essen goss er sich den restlichen Whisky ein und trank ihn bei den Abendnachrichten. Es war ihm nie anzumerken, dass er getrunken hatte, aber Evalis lernte rasch, was sie zu erwarten hatte.
Nach den ersten Malen hatte er noch um Entschuldigung gebeten und ihr beteuert, wie sehr er sie liebe. Sie hatte ihm geglaubt und ihm verziehen. Ziemlich bald spielte er nicht mehr den reuigen Sünder. Diese kleine arbeitslose Person ohne Verwandte und Freunde war für ihn das ideale Opfer. Das wussten beide.
Ihr lief der Schweiß herunter, als sie die letzten Strümpfe in die Reisetasche stopfte. Sie hatte einen pochenden Schmerz im Arm, wollte aber fertig werden. Vorsichtig richtete sie sich auf, denn ihr Rücken schmerzte ebenfalls. Sie war zufrieden, dass die Tasche gepackt war. Sie eilte ins Arbeitszimmer und suchte in der Schreibtischschublade nach ihrem Pass. Er war weg. Er lag nicht an seinem Platz. Fieberhaft wühlte sie in der Schublade. Alles drehte sie um. Der Pass lag nicht mehr im Schreibtisch. Hatte Lars ihren Pass versteckt? In dem Moment, in dem ihr dieser Gedanke kam, hörte sie einen Schlüssel im Schloss an der Haustür.
Vor Angst bekam sie keine Luft mehr. Panisch starrte sie auf die geschmacklose Uhr an der Wand, imitiertes Rokoko. Er kam eine ganze Stunde früher als sonst. Nein! Das konnte nicht wahr sein! Großer Gott!
Reglos vor Entsetzen hörte sie seine schweren Schritte auf der Treppe.
»Evalis, schläfst du?«, rief er.
Jetzt würde er direkt ins Schlafzimmer gehen. Auf dem Bett lag die gepackte Reisetasche. Er würde verstehen.
»Evalis!«
Jetzt brüllte er.
Sie musste aus dem Haus! Er würde sie totschlagen!
Trotz ihres lähmenden Entsetzens gelang es ihr, ihre Füße in Bewegung zu setzen. Rasch ging sie auf die Tür zu. Zur Treppe, ehe er diese blockierte! Aus dem Haus! waren ihre einzigen Gedanken.
»Evalis! Bleib stehen!«, brüllte er hinter ihr.
Instinktiv drehte sie den Kopf herum, um zu sehen, wie weit er noch von ihr entfernt war. Vielleicht stolperte sie deswegen auf der obersten Treppenstufe. Vergebens versuchte sie das Geländer zu packen. Der Gips glitt einfach nur am Holz ab. Hilflos
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