Die Frau im Fahrstuhl
wahnsinnig glatt, und meine Sohlen waren abgelaufen. Ich bin vornüber ins Cockpit gefallen!« Das Letzte hatte sie mit einem leisen Lachen begleitet.
Sie besaßen zwar kein Segelboot, aber das hatte der junge Arzt nicht wissen können. Er hatte ebenfalls gelächelt, aber sein Blick hatte ihr verraten, dass er nicht ganz überzeugt gewesen war.
Lars war um sie herumscharwenzelt und hatte sich, als sie wieder nach Hause gekommen war, unzählige Male bei ihr entschuldigt. Er hatte beteuert, er würde sie nie mehr »so hart anfassen«. An jenem Abend hatte er wirklich versucht, sich zu beherrschen. Aber auf Sex wollte er nicht verzichten, ein operierter, gegipster Arm war für ihn keine Entschuldigung. Immerhin war es ihm gelungen, sich zu zügeln. Sie hatte sich in Sicherheit wiegen sollen. Bald würde wieder alles so sein wie immer. Deswegen hatte sie in ihrer Verzweiflung Hillevi geschrieben.
Hillevi war Anästhesistin in Südamerika. Sie arbeitete an einem Kinderkrankenhaus. Sie hatte rund um die Uhr Dienst, aber das machte ihr nichts aus, denn ihre Arbeit bedeutete ihr alles, und sie hatte vor, noch mindestens ein Jahr lang dort zu bleiben. Ihr Arbeitsplatz war das St. Mary’s Hospital, das neben dem größten Kinderheim am Rand einer größeren Stadt lag. Dort hatten sie auch Elektrizität, und das war eine Voraussetzung für die vielen Operationen.
Die zwei Schwestern hielten über Internet Kontakt. Lars kannte sich im Internet nicht aus. Er interessierte sich auch nicht dafür. Von ihrem Briefwechsel wusste er nichts. Sicherheitshalber benutzte Evalis eine Hotmail-Adresse, falls Lars auf die Idee kommen sollte, ihre Mails zu kontrollieren.
Anfänglich hatte Evalis versucht, das Bild der glücklichen, frisch verheirateten Ehefrau aufrechtzuerhalten, aber nach dem Armbruch hatte sie begonnen, um ihr Leben zu fürchten. Lars war bei seinen »Ausbrüchen«, wie sie sie nannte, vollkommen unzurechnungsfähig. Sie hatte ihrer großen Schwester eine lange Mail geschickt. Ohne Umschweife hatte sie beschrieben, wie sich die kaum ein halbes Jahr währende Ehe in eine Hölle verwandelt hatte. Es hatte lange gedauert, mit der linken Hand zu tippen. Es war die längste Mail gewesen, die sie je geschrieben hatte, sie hatte wirklich an alles gedacht. Lars’ Überwachungsmanie, seine Abhängigkeit von täglichen Ritualen, seine Trinkgewohnheiten und seine Gewalttätigkeit.
Hillevis Antwort war kurz ausgefallen: »Ich komme in ein paar Tagen. Packe bis Donnerstagmorgen alles zusammen, was du brauchst. Dann hole ich dich ab. Falls vorher etwas passiert, dann zögere nicht, die Polizei zu rufen! Ich umarme dich! Hillevi.«
Lars hatte ihr Herz im Sturm erobert. Seinem intensiven Werben hatte sie nicht widerstehen können. Natürlich hatte es eine Rolle gespielt, dass sie nicht gerade mit männlicher Aufmerksamkeit verwöhnt gewesen war. Ihre kinderlose Ehe war im Jahr zuvor in die Brüche gegangen. Anschließend hatten die Männer auch nicht gerade Schlange gestanden. Evalis wusste, dass sie nicht unbedingt eine Schönheit war, obwohl man sie auch nicht direkt als hässlich bezeichnen konnte. Durchschnittlich war eine recht gute Bezeichnung ihres Aussehens. Leicht übergewichtig, normal groß, graublaue Augen. Ihr Haar gefiel ihr an ihr am meisten. Es war kräftig und schulterlang, jedoch alltäglich dunkelblond. Sie hatte sich hübsche hellblonde Strähnchen färben lassen.
Ihr Selbstbewusstsein hatte einen ziemlichen Knacks bekommen, als sie von der Spedition, bei der sie gearbeitet hatte, entlassen worden war. Die Firma war aufgekauft worden und hatte die »nötigen Rationalisierungsmaßnahmen« durchgeführt. Die meisten Frauen über vierzig hatten gehen müssen. Dass sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Lars begegnet war, der an seiner Verliebtheit keinen Zweifel gelassen hatte, war ihr wie die Rettung erschienen, die Rettung vor Einsamkeit und finanziellen Sorgen. Er besaß eine Firma und war recht wohlhabend. Es lohnte sich offenbar, Bagger und Baumaschinen zu vermieten. Außerdem war er gut aussehend, obwohl er die Fünfzig schon überschritten hatte. Sie hatte ihn für ein richtiges Schnäppchen auf dem Heiratsmarkt gehalten. Nur sein Alkoholkonsum hatte sie nachdenklich gestimmt. Aber da er sich nie betrank oder ausfallend wurde, schlug sie ihre Bedenken in den Wind.
Sie hatten sich erst zwei Monate gekannt, als sie auf dem Standesamt im Rathaus von Göteborg geheiratet hatten. Freunde waren keine geladen
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