Die Frau im Kühlschrank
und auf der Oberlippe.
Ich sah zum Bett. Wieder hörte ich die Stimme, schnarrend und leise: dann kommen wir und besuchen dich – nachts – wenn du schläfst …
Ich legte den Hörer auf und betrachtete meine verschwitzten Handflächen. Auch in ihnen prickelte es, als hätte die Angst sich bis dorthin ausgebreitet.
Ich starrte zum Fenster. Davor war es schwarz und dunkel, und die Nacht hatte noch nicht richtig begonnen. Es waren noch viele Stunden, bis es wieder hell würde.
21
Ich zog mich an, suchte zusammen, was ich an Geld hatte, steckte die Aquavitflasche in die Manteltasche und ließ den Rest im Zimmer liegen. Ich warf einen kurzen Blick durch das Zimmer, ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Ich spähte den Flur entlang. Es war niemand zu sehen. Der Snack-Automat stand da, und seine vielen, leeren Fächer gähnten mich an. Ich sah auf das Türschloß. Es waren keine Kerben drum herum. Der oder die, die in meinem Zimmer gewesen waren, hatten einen Schlüssel gehabt. Aber das ist die leichteste Sache der Welt für Profis: einen Nachschlüssel für ein Hotelzimmer anzufertigen.
Ich nahm den Fahrstuhl nach unten. Ein wenig unentschlossen blieb ich am Eingang zur Bar stehen. Der Portier betrachtete mich aufmerksam. Draußen fielen große, nasse, graue Schneeflocken von einem rußigen Himmel. Das machte die Wahl leichter, und ich ging hinein in die Bar.
Jonsson war auf dem Weg hinaus. Ich traf ihn am Kleiderständer hinter der Tür. Als ich meinen Mantel aufhängte, streckte er eine große Hand über meine Schulter und hob einen Cowboyhut herunter.
Ich blieb stehen und sah ihn an, während er sich den Hut auf den Kopf setzte. Ich sagte: »Ich meine, du sagtest – nur zu festlichen Gelegenheiten.« Ich nickte dem Hut zu.
Er grinste. »Ist dies denn keine festliche Gelegenheit?« Es glitzerte in seinen Augen, und er schien in strahlender Laune zu sein. Dann nickte er mir keß zu und verschwand in Richtung Ausgang.
Ich ging in den schummrigen Raum, hinüber zur Theke. Ich hielt Ausschau nach Benjamin Sieverts, aber er war nicht da. Ich bestellte einen doppelten Aquavit und ein Glas Wasser. Der Barkeeper sah mich säuerlich an. Es war offensichtlich, daß ihm mein Geschmack nicht gefiel, und als er die Bestellung ausführte, sah er ebenso begeistert aus wie ein Inspektor der Gesundheitsbehörde auf einem Flohmarkt. Ich spülte den Mund kräftig mit Wasser, ehe ich den Aquavit durch die Zähne und hinauf zum Gaumen strömen ließ.
Ich ließ den Blick von Tisch zu Tisch gleiten, auf der Jagd nach Gesichtern, die mir etwas sagten. Ich wurde nicht enttäuscht. An einem der Tische ganz hinten an der Wand saß Frau Anderson, zusammen mit zwei Männern. Der eine war ein dekorativer junger Mann, aber nicht der aus ihrem Vorzimmer. Der andere war Niels Vevang, Jonssons rechte Hand. Vevang saß über den Tisch gebeugt und redete eifrig. Er hielt den Kopf von mir abgewandt, und ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Als Frau Anderson bemerkte, daß ich zu ihnen herübersah, sagte sie etwas, und Vevang sah sich unwillkürlich um, mit einer schuldbewußten Miene. Dann ging ihm auf, daß er dabei war, einen Fehler zu machen, und er ließ seinen Blick weiter durch den Raum wandern, so als habe er mich nicht bemerkt. Ich hatte genug gesehen. Ich hüpfte vom Hocker und ging zu ihrem Tisch hinüber. Frau Anderson sah säuerlich auf. Ihr Begleiter sah durch mich hindurch. Vevang blinzelte widerwillig unter den hellen Augenbrauen hervor zu mir hoch. Mir fiel auf, daß der Tisch von Frau Anderson und ihrem jungen Begleiter gedeckt war. Vevang saß da und hielt sich krampfhaft an seinem Bierglas fest, das er offensichtlich mitgebracht hatte, als er sich zu ihnen setzte.
Ich fragte: »Redet ihr über mich?«
Es entstand eine lange, peinliche Pause am Tisch. Frau Anderson legte das Eßbesteck aus der Hand, das Messer sorgfältig auf die eine Seite des Tellers, die Gabel auf die andere. Sie nahm die weiße Serviette und wischte sich umständlich über die vollen Lippen. Dann sagte sie: »Über Sie?« Und sie schaffte es, daß es so klang, als sei das das absolut letzte Gesprächsthema, das sie sich denken konnte.
Ihr Begleiter lächelte stumm, während er weiteraß. Vevang zog eine nervöse Grimasse und sagte: »Gibt es sonst etwas, das wir für Sie tun können, Veum? Sie wirken etwas -erregt?« Die klirrende Angst wirbelte noch immer unten in meinem Bauch herum. Ich hörte sie in meiner Stimme, als ich sagte: »Tut mir
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