Die Frau im Kühlschrank
Nordsee. »Nie wieder da raus. Never!«
Ich nickte stumm.
Sein Blick schwappte wieder in mein Gesicht. »Ich war an Bord der Alexander Kielland ,Kumpel.«
Ich nickte wieder.
»Gott sei Dank hab ich nicht geschlafen. Ich hab gesessen und Patiencen gelegt, konnte nicht schlafen, du weißt, wie das ist, zum Umfallen müde, aber …« Er schwang den einen Arm durch den Raum, wie um etwas zu illustrieren. »Ich weiß nicht mehr … Aber plötzlich hat’s geknallt, und dann fing die ganze Plattform an zu krängen. Erst hab ich gar nichts begriffen. Glaubte, mir selbst wär schwindelig geworden – bin beinah ohnmächtig geworden. Dann begriff ich – und raste raus aus der Tür, die Stufenleiter rauf und raus an die frische Luft, gerade noch rechtzeitig, um zu merken, daß links der Himmel war und rechts die See, und der Horizont ein senkrechter Streifen vor mir. Dann weiß ich nichts mehr, außer daß ich im kalten Wasser lag und hin und her schaukelte, Salzwasser schluckte und um mich herum Schreie hörte. Irgendeiner schlug im Wasser um sich, gleich neben mir. Dann ging er unter, und ich hörte nichts mehr. Ich lag im Wasser und strampelte, wurde kälter und kälter, träger und träger. Die Hände, die mich rauszogen, waren – unsichtbar. Ich erinnere mich nicht an sie. Sah sie nicht. Sie sagten, ich war bewußtlos. Schwer wie ein Stein. Aber als ich zum Flugplatz runterkam, raus aus dem Helikopter, da hab ich mich zum Meer umgedreht, auf den Asphalt gespuckt und gesagt: Nie wieder!«
Er wirkte jetzt nüchterner. Die Augen kamen langsam zur Ruhe. »Es war eine Hölle, hinterher. Ich knall mich bis zum Rand mit Schnaps voll, um schlafen zu können, und der liegt dann und schwappt in mir rum. Ich wach triefend von Schweiß auf und glaub, ich wär wieder draußen im Wasser. Die Frau ist ins Kinderzimmer gezogen. Sie kann nicht schlafen, weil ich so unruhig bin. Ich versteh sie. Wenn ich morgens aufwache, hab ich nicht das Gefühl, auch nur eine Sekunde geschlafen zu haben – und die Morgenangst verschwindet nicht, bevor ich den ersten Schluck Pils drin hab. Und so geht das, den ganzen Tag. Weißt du, was Angst ist?«
Ich kaute auf der Frage herum. »Wir haben wohl alle unsere kleinen …«
»Ich rede nicht von all den kleinen Ängsten. Ich rede von der großen Angst. Der, die dich packt wie eine Faust und dich nicht wieder losläßt, Tag und Nacht. Alles, was du machen kannst, ist, dich zu betäuben. Tabletten oder Schnaps oder Gottweißwas.«
Er leerte sein Whiskyglas in einem Zug und spülte ihn mit einem ordentlichen Schluck aus dem Bierglas hinunter. Er gab dem Barkeeper ein Zeichen, daß er noch zwei haben wolle. »Wenn Mari nicht gewesen wär – meine Frau. Sie versteht mich und tröstet mich und ist so gut, wie jemand nur sein kann. Aber sie hat nicht die Angst gefühlt, sie hat nicht die Sekunde erlebt, wo die ganze Welt unter dir schwankt, sie hat nicht im Wasser gelegen und gestrampelt und gestrampelt mitten im schwärzesten Meer. Naß – und kalt und … Und da frag ich dich, Mister …«
Er packte mich am Jackenaufschlag, und ich merkte mir den Übergang von Kumpel zu Mister. »Ich frag dich: Wer hat schuld? Was?« Grimmig sah er mich an. »Du bist doch nicht etwa so ein verdammter staatlicher Ölangestellter? Der auf seinem glattpolierten Hosenboden sitzt und die Hölle auf Erden und den Teufel und seine Großmutter für uns da draußen auf den Ölplattformen konstruiert – wo bleibt denn die Sicherheit, wo, verdammte Scheiße, ist sie geblieben, na?«
Er war kurz davor, auf mich zu fallen, und ich griff um seine Handgelenke und versuchte, ihn von mir weg zu schieben. »Beruhige dich, Kumpel«, sagte ich leise. »Ich bin nicht so einer. Ich versteh dich.«
Ich versuchte, seinen Blick festzuhalten. Er sank zurück auf seinen Stuhl, ließ meine Jacke los. Da saß er und murmelte in seine zwei Gläser hinein, wie um das Echo zu testen. Dann wandte er den Blick wieder in meine Richtung. »Sorry, Kumpel. Ich – ich denk an den verdammten Sarg, den sie jetzt versuchen, hier im Fjord umzudrehen. Ich kann’s nicht verhindern, all meine Kumpels vor mir zu sehen, die immer noch da draußen liegen, in dem verrosteten Riesenradiator. Ich seh, wie sie sich langsam auflösen, zu bleichen verwesten Geistern werden, mit Krabben in den Augenhöhlen und Fischen, die da durchschwimmen, wo mal ihr Bauch war. Ich seh sie – ich seh sie!«
Der Schlußsatz kam ruhig, fast unhörbar, aber mit der Kraft der
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