Die Frau im Kühlschrank
Probe setzte ich behutsam einen Fuß dagegen, bevor ich daraufstieg. Die Finger um das Fensterbrett gekrallt, schob ich das Gesicht nach oben, Zentimeter für Zentimeter.
Ich sah in einen langen, schmalen Wohnraum. Links führten drei Türen in andere Zimmer, wahrscheinlich Schlafräume. Vor dem Panoramafenster weitete sich der Raum auch in Form eines L’s. Dort konnte man an einem flachen, massiven Holztisch sitzen, mit einem ordentlichen Drink, einer guten Zigarre, einer anschmiegsamen Frau neben sich und eine Aussicht bewundernd, die einem das Herz höher schlagen ließ. Der Mann, der in einem der Sessel saß, hatte den Drink und die Zigarre. Ansonsten schien er allein zu sein.
Es war ein großgewachsener Mann, mit kurzem Haar und breitem Nacken. Ich konnte das Gesicht nicht erkennen, aber ich war sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben.
Einen Augenblick lang überlegte ich, warum er allein war. Im nächsten Augenblick bekam ich die Antwort.
Für den Bruchteil einer Sekunde hörte ich die schnelle Bewegung hinter mir. Dann umfaßten mich kräftige Arme und hoben mich von der Fischkiste herunter, als sei ich eine Krabbe.
Der Mann hinter mir riß mich herum und stieß mich an die Wand. Hinter ihm sah ich, daß eine Tür im Seitenflügel offenstand. Eine leere Klobrille gähnte mir nackt entgegen; ebenso nackt wie das brutale, aufgedunsene Gesicht vor mir. Er sah sich mein Gesicht gründlich an, bevor er die Zähne fletschte, mich mit dem linken Unterarm an die Wand preßte und mir mit der rechten Hand hart ins Gesicht schlug. Als ich an der Wand herunterrutschte, streckte ich die Zunge sinnlos in die Luft, als wollte ich Schneeflocken fangen.
30
Etwas Flaches und Hartes drückte gegen meine Lippen. Es schmeckte bitter nach Lack. Mein Kopf fühlte sich an wie ein mit Bleikugeln gefüllter Glasballon.
Ich lag mit dem Gesicht zum Boden. Die Stimmen, die mich erreichten, klangen gedehnt und verzerrt, und es dauerte eine Weile, bis ich einzelne Worte unterscheiden konnte.
»… jetzt?«
»Nein. Wir müssen erst mit dem Chef reden. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
»Heute morgen sollten wir ihn doch erledigen.«
»Ja, trotzdem. Willst du die Verantwortung übernehmen, wenn er seine Meinung geändert hat?«
»Nein, nein – aber …«
»Er kommt morgen vormittag. Wir brauchen nichts anderes zu tun, als zu warten.«
»Was glaubst du, daß wir … Ich meine, wie?«
»Guck mal da raus. Siehst du das Meer? Es ist hungrig. Ein Unfall schlicht und einfach. Sie ertrinken beide.«
Der Mann, der gesprochen hatte, lachte leise und heiser. »Vielleicht Selbstmord, nach der letzten Liebesnacht. Is doch richtig romantisch, Kalle?«
»Sie also auch?«
»Wieso, glaubst du, haben wir sie mit hierher genommen? Sie weiß zuviel, sagt der Chef.«
Es prickelte in meinem Nacken. Ich fühlte, wie sich meine Nackenhaare sträubten. Meine Arme waren hinter dem Rücken gefesselt. Etwas Hartes und Metallisches drückte um meine Handgelenke. Es mußten Handschellen sein. Meine Zunge war dick und trocken, und ich hatte einen bitteren Blutgeschmack im Mund.
Die Stimmen kamen wieder. Die eine war schläfrig und träge. Die andere klang hitzig und gereizt. Die schläfrige sagte: »Du -Jolle?«
Der andere grunzte.
»Wir werden doch den Leckerbissen da unten im Keller nicht die ganze Nacht unbenutzt lassen, oder?«
Ich bekam ein hohles Gefühl im Bauch.
»Die Nutte? Nein, warum eigentlich? Wenn wir nett mit ihr umgehen.«
»Nett?«
»Der Chef will sie haben – heil, sagt er.«
»Der will ja bloß selbst dran, verdammt.«
»Is das ein Wunder? Is ganz schön appetitlich, die Kleine – für ’ne Nutte.«
Ein schmatzender Laut war die Antwort.
Schwere Schritte kamen durch den Raum. Sie stoppten direkt neben mir. Ein flacher Stiefel trat mir leicht in die Rippen. »Hej, Schnüffler! Wieder lebendig?«
Ich bewegte mich nicht.
Die Stimme drüben am Fenster sagte: »Ja, am besten sperren wir ihn ein, bevor wir uns anderweitig vergnügen. Wenn er abhaut, können wir beide nach Amerika emigrieren.«
Grunz, grunz. Wieder ein Stiefel in der Seite.
Ich bewegte mich immer noch nicht. Er schob den Fuß unter mich und rollte mich herum. Mein Kopf schlug auf den Boden. Die Arme lagen unter mir eingeklemmt. Die Handschellen bohrten sich in die Haut, und ich stöhnte schwach.
Ich öffnete die Augen.
Aus der Froschperspektive sah der Mann über mir aus wie ein viereckiger Alptraum. Alles war massiv und schwer, von den Beinen bis
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