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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Es klingt sehr schön. Was spielt sie da? Ich drehe mich erstaunt zu ihrer Mutter um. Das ist ja Joni Mitchells »Blue« aus dem Album, das Marianne nie hören wollte. Aber sie spielt frei, läßt die Finger über die Klaviertasten laufen, formt die Tonleitern und Intervalle, die nur Tanja Iversen singen kann.
    »Anja hat sich befreit«, sagt Marianne lächelnd und drückt meine Hand.
    Ich sehe, daß sie mit dem Stolz der Mutter zur Tochter hinüberschaut. Anja spielt weiter. Ich habe mich noch nie so weit weg von ihr gefühlt.
    »Du mußt nicht traurig sein«, sagt Marianne. »Du hast ja mich.«
    Und es tut gut, einfach neben Marianne Skoog zu sitzen und ihre Hand zu halten.
    Wir hören Anja zu. Sie spielt zu Ende. Dann steht sie auf und verneigt sich vor uns.
    »Geh jetzt schlafen, mein tüchtiges, kleines Mädchen«, sagt Marianne. Anja gehorcht. Ich höre, wie sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer geht. Ich stelle mir vor, daß sie sich gleich in das Bett legen wird, in dem Marianne und ich gewöhnlich schlafen.
    »Wo sollen wir schlafen?« frage ich Marianne verwirrt.
    »Hier, auf der Couch«, sagt sie.
    Einen Augenblick meine ich, Sigruns Hand zu halten. Aber dann spüre ich Mariannes Zärtlichkeiten, ihre suchenden Hände. Es tut gut, so gestreichelt zu werden.
    »Aber das ist der letzte Traum«, sagt sie. »Von jetzt an wird alles Wirklichkeit sein.«
Konzert mit Margrethe Irene
    Ende Februar kommt Sigrun hinunter zu mir ins Internat und zeigt mir eine Ankündigung in der örtlichen Zeitung: »Margrethe Irene Floed auf Rikskonsert-Tournee in Nordnorwegen. Norwegens begabteste Pianistin. Schülerin bei Dr. Seidlhofer in Wien. Kommt am nächsten Montag nach Kirkenes. Spielt Beethoven etc …«
    »Gunnar hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er kennt doch deinen Impresario. Aber dann ist mir eingefallen, daß du und diese Floed vielleicht zur gleichen Zeit studiert habt?«
    Ich nicke. Das Licht hier im Norden ist nicht für Lügen geeignet. Die Polarnacht ist vorbei. Die Helligkeitsphase wird jeden Tag länger. Ich spiele bereits seit Wochen für die Schüler lebensbejahende Musik. Die »Holberg-Suite« von Grieg. Beethovens »Bagatellen«. Chopins »Balladen«.
    »Margrethe Irene war meine erste Freundin«, sage ich. »Mit ihr war ich zusammen.«
    »Und das sagst du jetzt?« Sigrun schaut mich ärgerlich an.
    »Ich wußte schon damals, daß ich nie mit ihr zusammenbleiben würde.«
    »Aber du warst doch mit ihr zusammen!«
    »Das versuche ich dir ja zu sagen«, sage ich genervt, »daß man mit Menschen zusammensein kann und weiß, daß man nie zusammenbleiben wird.«
    »Unsinniges Gerede!« sagt Sigrun zornig.
    Sie wirkt betroffen. Als würde sie sich plötzlich erinnern und ihr Leben von dem Standpunkt aus betrachten, wie ich ihn damals hatte, als alles möglich war.
    »Gehen wir«, sage ich.
    Sie nickt kaum sichtbar, ist einverstanden.An diesem Montag im Februar fahren wir allein nach Kirkenes. Ich hatte gedacht, Eirik würde mitkommen. Aber er hat an diesem Abend Chorprobe mit den Schülern. Sie wollen Mendelssohns »Höre meine Gebete« einüben. Jetzt sitze ich in dem alten Lada neben der Distriktsärztin. Sigrun Liljerot raucht wie ein Schlot.
    »Warum sollte Tanja Iversen nicht mitkommen?« fragt sie.
    »Sie ist auf ihrem eigenen Trip«, sage ich. »Ist das nicht das Privileg der Jugend?«
    »Du redest wie ein alter Mann. Ihr seid gleichaltrig. Ihr könntet heiraten!«
    »Bitte keine Witze«, sage ich.
    »Weil du deine Rebecca mit den großen blauen Augen in der Hinterhand hast«, fährt Sigrun unbeirrt fort und raucht mit tiefen Zügen. »Du hast an jedem Finger eine Frau. Wie konnte ich mich nur ernsthaft auf dich einlassen?«

    Ernsthaft auf mich einlassen, denke ich. Wie viele Wörter sind nötig, damit sie in mir etwas anderes sieht als einen Eindringling oder den viel zu jungen Ehemann ihrer Schwester? Wenn wir so reden, ist es, als hätten wir nie nebeneinander gelegen.
    Denn sie hat sich nie entblößt.

    Es gibt so vieles, worüber wir reden sollten. Aber wir finden die passenden Worte nicht. Erst als wir uns Kirkenes nähern, fragt sie:
    »War es ernst zwischen euch? Hast du sie geliebt? Richtig geliebt?«
    Etwas in ihrer Stimme läßt mich aufhorchen, und ich drehe mich zu ihr. Ich sehe ihr Profil. Ich kann sehen, daß sie aufgebracht ist. Ich empfinde eine Art Freude. Ist siewirklich eifersüchtig? Auf Margrethe Irene? Die ich so schlecht behandelt habe? Die die erste war? Die nur ein erster

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