Die Frau im Tal
Erfolg wurde.
Als habe sie ständig hinter mir her spioniert. An mich gedacht. Alles verfolgt, was ich machte, obwohl sie in Wien war.
Als sei zwischen uns ein kalter Krieg gewesen, ohne daß mir das bewußt war.
All meine dummen Fehler, die ich mir in Margrethe Irenes Mädchenzimmer geleistet habe.
Als wolle sie mich daran erinnern.
Als sei sie nie darüber hinweggekommen.
Sie beginnt mit den Präludien von Fartein Valen. Zuerst bin ich wütend. Entweder hat mich W. Gude zum besten gehalten oder er hat nicht gemerkt, was Margrethe Irene vorhat. Niemand kann von einem Impresario erwarten, daß er die Konzertprogramme aller seiner Künstler im Kopf hat. Besonders nicht die der Anfänger.
Aber die Wut ist schnell vorbei. Margrethe Irene spielt für mich. Ich höre, was sie gelernt hat. Sie drückt Gefühle aus, die ich ihr nicht zugetraut hätte. Im hohen Norden, im Konzertsaal von Kirkenes, spielt sie mein Debütkonzert. Und schon nach wenigen Minuten erkenne ich, daß sie gut spielt, sehr gut, vielleicht besser als ich. Obwohl ich zu einem klaren Urteil nicht in der Lage bin, denn beim Hören dieser Musik werden die letzten Monate und Wochen mit Marianne lebendig. Diese Musik übte ich ein, während Marianne in aller Stille ihren Selbstmord vorbereitete. Diese Töne erklangen im Skoog-Haus, während Marianne im Büro im ersten Stock saß und an weiß Gott was dachte. Aber warum spielt Margrethe Irene jetzt Valen, Prokofjew, Chopin, Beethoven und Bach? Ist das trotz allem meine Welt, um die sich alles dreht? Oder bin ich auf einmal paranoid? Oder ist es Margrethe Irenes Rache, weil ich sie verschmäht habe? Daß sie nie zeigen konnte, was in ihr steckt, daß sie abgeschnitten war von ihren Ambitionen. Wie muß sie das gehaßt haben.
Aber Rache ist etwas, wozu man die Musik niemals einsetzen kann, denke ich empört, während MargretheIrene die Musik weit über diese kleinliche Sichtweise erhebt. Vielleicht wurden uns diese Kompositionen fast zur gleichen Zeit von unseren Lehrern aufgedrängt. Und Margrethe Irene hat sie analysiert, hat sie tiefer und komplexer verstanden, als mir das je gelungen ist. Ich höre den Kontrapunkt deutlich, was das Erlebnis verstärkt. Eigentlich bin ich ihr völlig egal, denke ich. Aber warum spielt sie dann ausgerechnet dieses Programm? Weil es ein tolles Programm ist, das Selma Lynge und ihre Freunde zusammengestellt haben?
Nach der Pause wird sie überwältigend. Da wächst sie mit jedem Ton. Sie präsentiert Beethovens Opus 110 auf eine Weise, wie ich es noch nie gehört habe. Ein perfektes Gleichgewicht zwischen Gefühl und Nüchternheit. Das fleißige und unbekannte Mädchen aus Bislett wird zu einer Interpretin von Weltklasse. Auch bei der Fuge behält sie die volle Kontrolle. Und als sie am Ende zu Bach kommt, ist der Saal völlig verzaubert.
Ich höre nicht mit meinen Ohren. Ich höre mit den Ohren von Sigrun. Sie sitzt dicht neben mir. Ich denke etwas verbittert, daß sie dieses Konzert auch hätte erleben können, wenn sie damals auf ihre Schwester gehört hätte und nach Oslo gekommen wäre. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle.
Dann ist es vorbei. Das Publikum erhebt sich und ruft begeistert. Ich stehe ebenfalls und rufe mit Gunnar Høegh um die Wette. Sigrun ruft nicht, aber ich sehe, daß sie bewegt ist. Daß sie erschöpft ist. Daß sie weint. Daß sie kurz davor ist, die Kontrolle zu verlieren. Ich will nicht, daß es so weit kommt. Ich will, daß sie stark ist. Stärker als ich. Ich möchte den Arm um sie legen und ihre bösenGedanken vertreiben. Aber ich wage es nicht, wenn so viele Arztkollegen im Saal sind und Gunnar Høegh so nahe neben ihr steht.
Als Margrethe Irene für die Zugabe zurückkommt, macht sie eine Handbewegung, daß wir uns setzen sollen. Bereits jetzt sehr weltgewandt, denke ich. Sie liebt es, da oben zu stehen.
»Erlauben Sie mir, daß ich die kleine Komposition meines lieben Freundes Aksel Vinding spiele, der, wie ich sehe, heute abend anwesend ist. Das Stück heißt ›Elven‹.«
Dann spielt sie »Elven«. Und eigentlich kann ihr nur Gabriel Holst die Melodie und deren Harmonie gegeben haben. Sie muß ihn in Oslo getroffen haben. Sie spielt die Melodie einfühlsam und mit souveräner Verzierung, besser, als ich selbst es könnte. Und anders. Sie spielt zorniger, fast aggressiv, will absichtlich das etwas zu liebliche Hauptthema dramatisieren. Erst als sie improvisiert, merke ich, daß sie außerhalb des Stückes steht, daß das
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