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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Schritt auf dem Weg war?
    »Mußt du das wirklich alles wissen?« sage ich. »Sie war die, mit der ich am wenigsten zusammensein wollte und trotzdem zusammenkam. Sie war die, von der ich wegwollte, selbst wenn wir uns am nächsten waren.«

    Wir fahren einige Kilometer schweigend.
    »Warum wolltest du das?« fragt Sigrun schließlich.
    »Was denn?«
    »Von ihr weg, was sonst!«
    »Weil wir nicht zueinander paßten. Vielleicht paßte ich für sie, aber sie paßte nicht für mich.«
    Sie überlegt lange.
    »Hast du das von Anfang an so empfunden?«
    Ich nicke.
    »Was war das für ein Gefühl?«
    Ich fasse sie mit einer kurzen Handbewegung an der Schulter. Sie wirkt so kindlich und hilflos, wenn sie so fragt.
    »Daß es ein Mißverständnis war«, sage ich. »Zu der Zeit war sie wie eine … Klette. Das ist vielleicht nicht nett ausgedrückt, aber für mich war sie jemand, den ich abschütteln mußte.«
    Sie blickt starr vor sich hin. Ich merke, daß sie langsamer fährt. Wir kommen kaum noch vorwärts.
    »Mir ist es mit Eirik auch so gegangen«, sagt sie.
    »Was meinst du?«
    »Daß er mir zu schnell zu nahe war. Daß er entschied, daß wir zusammengehören. Daß ich nie eine wirkliche Wahl hatte.«
    An der Höhe 96 stehen wir beinahe.Ich wage nichts mehr zu sagen. Das ist nicht nötig. Sie will auch nichts sagen. Wir wissen sehr viel voneinander, denke ich, als wir beim Konzertsaal parken. Diesmal haben wir keinen Alkohol im Körper. Sigrun wird zurückfahren. Gunnar Høegh steht da und wartet auf uns, aber die Stimmung ist anders als beim letzten Mal. Heute abend kein Absacker. Er sieht immer noch krank aus. Er küßt Sigrun leicht auf die Wange, begrüßt mich freundlich, aber matt. Dies ist Margrethe Irenes Abend. Eine junge, begabte Pianistin, die wir gerne hören wollen. Weiß sie, daß ich hier bin? denke ich. Möchte sie mich ärgern? Oder halte ich meine Rolle in ihrem Leben für zu wichtig, wenn ich so denke? Bin ich nur ein Narr, der meint, alles auf dieser Welt drehe sich nur um ihn?
    Nein. Das glaube ich nicht. Durch Tanja Iversen habe ich das Gefühl kennengelernt, vom Zentrum des Geschehens ausgeschlossen zu werden. Ich sah, daß sie an jenem Abend zusammen mit Gabriel Holst ins Hotel ging. Sie wollte danach nie mehr mit mir sprechen. Gabriel muß ihr etwas erzählt haben. Wieder bekomme ich das Gefühl, das ich im Krankenhaus hatte: auf der anderen Seite zu stehen, bei denen, die es versucht haben, die es beinahe geschafft hätten, zu sterben, die aber immer noch am Leben sind. Und wie ich hier im Konzertsaal neben Sigrun sitze, die Gunnar Høegh an ihrer anderen Seite hat, fühle ich plötzlich, daß auch sie zu denen gehört, die es versucht haben. Daß wir beide es wissen, aber nie darüber reden werden.

    Margrethe Irene Floed.
    Sie betritt die Bühne in einem grauen Hosenanzug, der ihre schlanke Taille und die wohlgeformten Brüste hervorhebt. Das Haar hat sie hochgesteckt, wodurch ihr langerNacken betont wird. Wie erwachsen sie geworden ist, denke ich. Wie elegant. Es ist lange her, daß ich auf ihrem Bett lag, daheim in ihrem Mädchenzimmer, lange her, daß sie mich wie in einem Schraubstock festhielt und nicht loslassen wollte, lange her, daß sie völlig davon überzeugt war, daß wir zusammengehören. Aber es kam anders. Und dabei wird sie immer Margrethe Irene Floed bleiben. Bescheiden und ehrgeizig zugleich. Meine beste und loyalste Freundin, ohne daß ich das begriffen hätte.
    Sie verbeugt sich. Dann richtet sie ihren Blick direkt auf mich, als hätte sie schon vorher gewußt, daß ich anwesend sein würde, und sie winkt.
    Als müsse sie mir extra auf die Nase binden, daß sie heute abend für mich spielt.
    »Du mußt zurückwinken!« flüstert Sigrun.
    Ich tue, was sie sagt. Widerwillig. Denn in meiner Welt war Winken immer verhängnisvoll. Aber es ist glücklicherweise zu spät. Margrethe Irene sieht es nicht. Sie hat sich bereits an den Flügel gesetzt. Im Saal sitzen die Bildungsbürger der kleinen Grenzstadt. Es versetzt mir einen Stich. Tanja hatte keine Lust, mitzukommen. Es sind Leute von A/S Sydvaranger, Offiziere, Ärzte und Zahnärzte da und der eine oder andere Liebhaber klassischer Musik.
    Ich werfe einen Blick auf das Programm.
    Ich kann einen leisen Ausruf nicht unterdrücken.
    Sie hat vor, mein Debütprogramm zu spielen.

    Das Debütprogramm! Das ich im vergangenen Jahr spielte, an dem schrecklichen Abend, an dem sich Marianne erhängte. Das mein großer künstlerischer

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