Die Frau im Tal
meiste schön ausgedacht, aber nicht empfunden ist. Das macht nichts. Sie spielt »Elven«. Und ich weiß nicht, ob ich das als Ehre oder als Liquidierung betrachten soll.
Als der Applaus endlich verstummt, beharrt Gunnar Høegh darauf daß wir alle drei nach hinten gehen und »diese begnadete Pianistin«, wie er sie nennt, begrüßen. Sigrun begreift mein Dilemma und nimmt meine Hand.
»Willst du?« fragt sie.
»Natürlich«, sage ich.
Sie erwartet uns in einem viel zu hellen Raum. Ihre Haut ist weiß, die Kleidung schwarz, und als sie mich sieht, wirft sie sich mir an den Hals. Wir sind beide gerührt von demWiedersehen. Ich habe sie seit meiner Hochzeit mit Marianne in Wien nicht gesehen.
»Entschuldigung«, sagt sie. »Aber das mußte einfach sein. Bist du mir sehr böse?«
»Du bist phantastisch«, sage ich.
»Übertreib nicht«, sagt sie.
»Aber wie kamst du zu ›Elven‹?«
Sie lacht. »Gabriel Holst. Schnellkursus in Jazz. Aber jetzt mußt du meinen Mann begrüßen. Heino Bubach. Wir haben im Herbst geheiratet. Er ist auch mein Impresario.«
Sie stellt mir einen dunkelhaarigen und elegant gekleideten Mann um die dreißig vor, den ich bereits im Saal bemerkt hatte. Es ist zum Glück nicht dieser Carlos, mit dem sie in Wien zusammen war. Er grüßt höflich.
Die ganze Zeit, während wir reden, spüre ich Sigruns Blick. Sie bewacht mich. Sogar wenn Margrethe Irene mit anderen spricht, hat sie mich im Blick.
»Sie hättest du heiraten sollen«, flüstert sie mir ins Ohr, als wir plötzlich etwas abseits stehen.
»Wir waren viel zu jung«, flüstere ich zurück.
»Zu jung wozu?« flüstert sie.
Ich zucke die Schultern.
»Dann heirate die Blauäugige«, sagt sie laut und schmollend.
»Wir könnten im Hotel noch ein Glas Wein miteinander trinken«, sagt Margrethe Irene und schaut mich unsicher an.
»Meine Wohnung steht dir gerne zur Verfügung, wenn du übernachten willst«, sagt Sigrun mit einem Blick auf mich. »Aber ich muß zurück nach Skogfoss. Ich habe morgen einige Patienten unten im Tal von Pasvik.«
»Man nennt dich die Frau im Tal, stimmt das?« Margrethe Irene schaut Sigrun neugierig an.
»Woher in aller Welt weißt du denn das?« fragt Sigrun erstaunt.
»Rebecca Frost«, sagt Margrethe Irene entschuldigend. »Ich habe sie in Oslo getroffen.«
»Das heißt, ihr seid über alles orientiert, was im Lande so passiert?« sagt Sigrun trocken.
»Wir waren einmal die Gruppe »Junge Pianisten«, sage ich.
»Ja«, nickt Margrethe Irene eifrig. »Gemeinsam wollten wir die Welt erobern.«
»Aber es kam anders«, sage ich.
»Ich weiß, was du mitgemacht hast«, sagt Margrethe Irene leise. »Deshalb dachte ich, wir könnten uns noch zusammensetzen und …«
»Das geht nicht«, sage ich kurz.
Mir ist klar, daß Heino Bubach uns nicht in Ruhe lassen würde. Mir ist der Gedanke unerträglich, mit Margrethe Irene vertraulich zu reden, während ihr Mann in der Nähe ist.
»Außerdem habe ich den Schülern ein Morgenkonzert versprochen«, lüge ich.
Margrethe Irene dreht sich von mir weg und schaut Sigrun direkt an.
»Ich bin deiner Schwester in Wien begegnet, als sie und Aksel geheiratet haben. Mir fällt auf, wie ähnlich ihr euch seid. Sie sah sehr gut aus.«
Sigrun Liljerot errötet. »Wir waren ziemlich verschieden«, sagt sie kurz.
Dann trennen sich unsere Wege mit der Beteuerung, sich bald wiederzusehen. Vielleicht komme ich nach Wien.Vielleicht ist sie in Oslo, wenn ich mit der Philharmonie Rachmaninow spiele. Heino Bubach unterbricht das Gespräch und legt seinen Arm entschlossen um ihre Schulter.
Wir sind wieder unter uns, Sigrun, Gunnar Høegh und ich.
Im grellen Licht der Deckenbeleuchtung sehe ich, daß es Gunnar offenbar schlechter geht, als ich dachte. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr und drückt ihn fürsorglich, fast zärtlich an sich.
Er drückt mich auch. Oder genauer: Er umarmt mich, als wolle er mich segnen.
Ich habe das Gefühl, daß ich ihn zum letztenmal sehe.
Im Auto hinauf nach Skogfoss weint Sigrun.
Sie erzählt mir, daß seine Krankheit wieder ausgebrochen ist. Daß es schlecht aussieht. Daß er ein enger Freund von ihr und von Eirik ist. Daß Freunde wichtig sind, wenn man so isoliert wohnt. Daß sie ihm beide viel verdanken.
Eisige Loipe
Eine Woche später. Ich habe seit Tagen intensiv geübt und habe ein Bedürfnis nach frischer Luft. All das Unausgesprochene zwischen Sigrun und mir quält mich. Ich habe mich als Person zu hoch eingeschätzt, habe
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