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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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mich erschrocken an.
    »Um das Russische zu verstehen.«
    »Totaler Quatsch. Rachmaninows Seele bei den Rentierzüchtern?«
    »Nein, aber dieses gewaltige Land erfassen, seinen Atem spüren.«
    »Den Atem des kalten Krieges? Den Atem von Nikel? Einer der schmutzigsten Städte der Welt? Und in die Sowjetunion kommst du nicht ohne weiteres hinein.«
    »Spielt keine Rolle. Du verstehst es nicht.«
    »Daß du die Gemeindesäle an der Eismeerküste dem Herkules-Saal in München vorziehst? Nein, das kann ich nicht verstehen. Aber ich werde diese Konzerte für dich organisieren, wenn du absolut darauf bestehst.«
    Ich spüre seinen Blick. Das erinnert mich an die Augen von Gudvin Säffle. W. Gude hält mich zweifellos für verrückt. Aber viele Pianisten sind verrückt gewesen. Auch mit verrückten Menschen kann man Geld verdiene. Deshalb wird er tun, was ich sage.
Ein wichtiges Gespräch im Musikverlag
    Ich bin mir keineswegs sicher bei dem, was ich tue. Es ist, als würde ich mich in einen Gefühlszustand hineindenken. Ich denke an Sigrun. Wenn es mir gelingt, mir ihr Bild zu vergegenwärtigen, sind Anja und Marianne wieder bei mir. Der Entschluß ist gefaßt. Ich muß nach Nordnorwegen. Aber was zum Teufel will ich dort?
    Da fällt mir Mutters Methode ein. Bewußt impulsiv handeln. Dem Einfall vertrauen, egal, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind. »Lebensgefährliche Jugend«, sagte sie immer. Eine Anspielung auf die Ehe mit Vater. So vieles im Leben beruht auf Einfällen. Daß ich Anja im Wald nachspionierte, daß ich nach ihrem Tod bei ihrer Mutter einzog. Einem Einfall folgend, fahre ich auch jetzt mit der Straßenbahn in die Stadt und besuche Kjell Hillveg im Musikverlag. Er war in meinem Debütkonzert. Ich weiß, daß es ihm gefällt, was ich mache. Er steht hinter derLadentheke und verkauft wie immer Schallplatten. Unterhält sich mit jedem, besorgt sich immer als erster die neuesten Einspielungen. Ich lehne an seiner Theke und versuche, den alten Plauderton zwischen uns zu finden, aber er weiß von Marianne.
    »Ich haue ab«, sage ich.
    »Warum das?«
    »Ich muß in den Norden.«
    Er runzelt wie all die andern die Augenbrauen.
    »Was willst du dort?«
    »Innere Ruhe und Frieden. Das Gleichgewicht wiederfinden. Rachmaninow einüben. Sein zweites.«
    »Warum ausgerechnet Nummer zwei? Muß das denn sein? Nach Richter meine ich?«
    »Hast du einen anderen Vorschlag?«
    »Warum fragst du?«
    »Eigentlich sollte ich Brahms spielen, das B-Dur-Konzert.«
    »Wahnsinn. Bei deinem ersten Konzert mit Orchester? Sie ist wohl nicht mehr ganz bei Trost, deine deutsche Primadonna?«
    »Ich habe mich von ihr getrennt«, sage ich. »Vielleicht bin ich selbst schuld. Es war ein verrückter Gedanke, dieses B-Dur-Konzert von Brahms spielen zu wollen, als jüngster Pianist der Welt.«
    »Ben Hur? Siebzig Millimeter? Die Antwort des Pianisten auf Charlton Heston?« Er zuckt die Schultern. »Meinetwegen. Aber Musik ist doch noch keine olympische Disziplin?«
    Ich mag seine Arroganz, weil er gleichzeitig ein so großer Enthusiast ist.
    »Das ist jetzt nicht mehr so wichtig«, sage ich. »Brahms kann warten. Aber W. Gude hat immerhin dieseVereinbarung mit der Philharmonie. Ich überspringe die Neuen Talente. Ich werde Solist in einem richtigen Abonnementskonzert. Sogar ein A-Abonnement, mit sämtlichen Honoratioren im Saal.«
    »Gratulation.«
    »Das wollte ich gerade nicht von dir hören«, sage ich. »Du sollst mir sagen, daß es richtig war, Rachmaninow zu wählen.«
    »Was bekomme ich dafür«, grinst er. »Auf seine Weise ist Rachmaninow wohl technisch ein ebenso großer Alptraum wie Brahms?«
    Ich nicke. »Das hat aber nichts mit der Sache zu tun. Rachmaninow ist schlichtweg richtiger.«
    »Na ja«, sagt Hillveg und verdreht die Augen. »Das weibliche Publikum wird in Ohnmacht fallen, und mit deinem Alter und Aussehen werden sich die großen Plattenfirmen um dich reißen. Und was dann?«
    »Was meinst du?«
    »Tja, was willst du eigentlich ausdrücken?«
    »Verzweiflung.«
    »Und das willst du einüben? Verzweiflung? Monatelang? Das klingt nicht gut.«
    »Was würdest du statt dessen vorschlagen?«
    »Versöhnung.«
    »Und was ist Versöhnung?«
    »Mozart.«
    »Was von Mozart?«
    »Sein A-Dur-Konzert. Das berühmte. A-Dur war eine phantastische Tonart für Mozart.«
    »Stimmt. A-Dur ist dunkelrot, wie italienische Ziegelsteinhäuser oder wie Selma Lynges geschminkter Mund.«
    Kjell Hillveg schaut mich erschrocken an. »Was

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