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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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es stockdunkel. Irgendwo nach dem Polarkreis wird es heller. Zuerst ein schwacher roter Streifen, dann deutlicher. Als wir kurz nach Mitternacht in Tromsø landen, ist es dämmrig. Der Sommer ist vorbei. Auf dem Flugplatz ist viel Betrieb. Alle warten auf Transitverbindungen weiter hinauf nach Norden. Ich stelle mich an eines der großen Fenster in der Transithalle und zünde mir eine Zigarette an, inhaliere in tiefen Zügen. Ich sehe, wie die großen Maschinen am Terminal beladen werden. Schneescooter, Skier, Zelte, Angelausrüstungen, längliche Kisten, in denen sicher Gewehre sind. Das wirkt alles sehr fremd auf mich. So anders als mein vertrautes Erlengebüsch und die Straßenbahn. Wir befinden uns jetzt in der wilden Natur, und ich will noch weiter, bis zum Eismeer und dem kalten Krieg. Zum Point of no Return. Das Bodenpersonal der SAS öffnet die Tür hinaus zur Rollbahn. Ein eisiger Wind bläst mir ins Gesicht. Auf den Berggipfeln liegt Schnee. Es riecht nach Salzwasser und Schießpulver.
Ankunft in Kirkenes
    Wir fliegen weiter nordwärts. Das erste Tageslicht betupft mein Gesicht. Es ist gegen drei Uhr nachts. Dann Kurswechsel nach Osten, über Gebirge und tiefe Fjorde. Fast alle in der Maschine rauchen selbstgedrehte Zigaretten, wir sitzen in einem Nebel aus Rauch. Ich bin zu müde, um zu schlafen. An meinem Sitzplatz fühle ich mich wie unsichtbar, niemand achtet auf mich. Sogar die Stewardeß, die im Mittelgang mit dem Kaffee kommt, übersieht mich. Ich bin der einzige im Flugzeug, den sie nicht angesprochen hat. Mir fällt ein, was Cathrine gesagt hat, das Leben hier und jetzt leben. Die Menschen um mich werdenklarer, deutlicher, größer. Schräg vor mir sitzen zwei Samen, die sich lebhaft in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe. Vor ihnen sitzt ein älterer Mann in Anzug und Krawatte, der ein Zigarillo raucht und die Aftenposten liest. Sicher einer der Direktoren auf Sydvaranger. Ich sauge alle Eindrücke auf und frage mich, wie ich es anstellen soll, daß ich wieder hineinkomme in die Welt, daß ich an sie glaube, daß ich die Stewardeß veranlasse, stehenzubleiben und mir einen Kaffee zu servieren.
    Dann fliegen wir in ein Unwetter, schnallen uns an und spüren, wie die Maschine rüttelt und zittert. Die Samen haben offensichtlich Angst. Das hätte ich nicht von ihnen gedacht. Ich fliege in den Norden voller Vorurteile und Unwissenheit. Ich bin aufgeregt wie ein Kind.

    Wir landen mit einem Knall. Das Fahrgestell ist sicher eingeknickt, denke ich, aber wir sausen über die Rollbahn, und einige klatschen. Dann strömen wir aus der Maschine, und die Stewardeß verabschiedet sich von allen außer von mir. In dem kleinen Terminal stehe ich in der Gepäckausgabe wie ein ängstliches Hündchen und warte auf meinen Koffer. Der Mann im Anzug kommt zu mir und erkundigt sich, ob bei mir alles in Ordnung sei. Ich reiße mich zusammen und nicke. Doch ja, alles in Ordnung. Danke, sehr aufmerksam, aber ich bin nur etwas müde. Er riecht leicht nach Bier, Zigarre und After-shave.
    »Ich weiß, wer du bist«, sagt er und reicht mir die Hand. »Gunnar Høegh. Direktor der A/S Sydvaranger. Erz. Pellets. Vielleicht Tana-Quarz, wenn wir Glück haben. Ich las in der Zeitung, daß du auf Tournee in der Finnmark bist?«
    »Stimmt«, sage ich matt. »Die Finnmark steht jetzt auf dem Programm.«
    »Wir in Sydvaranger würden auch gerne einPrivatkonzert haben, wenn sich das einrichten läßt. Aber dein Terminplan ist sicher dicht?«
    »Nein, nein«, sage ich. »Ich habe genügend Zeit.«
    Er gibt mir seine Karte.
    »Ruf mich im Laufe der Woche an. Du wirst danach zu einem vorzüglichen Menü eingeladen. Das genügt sicher als Honorar, nehme ich an? Der Weinkeller im Club gehört zu den besten des Landes …«
    »Das läßt sich machen«, sage ich und sehe in diesem Moment, daß mein Koffer kommt.
    »Wo wirst du übrigens wohnen?« fragt Gunnar Høegh freundlich.
    »Im besten Hotel«, sage ich. »Wie heißt das beste Hotel hier in der Stadt?«
    »Wir haben doch das beste Hotel, oben auf dem Hügel, mit Aussicht über die ganze Stadt.«
    »Dann werde ich in dem andern wohnen«, sage ich.
    »Das ist unten im Zentrum«, sagt er und zuckt die Schultern.

    Als ich eine halbe Stunde später mein Hotelzimmer betrete, falle ich sofort auf das Bett und schlafe ein, ohne mich auszuziehen. Mir träumt, daß ich Rachmaninows zweites Klavierkonzert spiele. Ich habe es eingeübt, und sogar die Partien, die ich noch nie geübt

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